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»Ufficio chiuso!«
Eine Weihnachtsgeschichte

von Jürgen Mick

Es war eine unscheinbare, aber massive Tür aus Holz, an der das Schild befestigt war und dort wohl schon hing, seit ich in der Straße wohnte.
»Ufficio S. & M. chiuso!«
Es war etwa fünfzehn Jahre her, dass ich dort eine kleine Wohnung bezogen hatte, in einem dieser alten und geräumigen Häuser, nur wenige Meter weiter, gegenüberliegend, die schmale, leicht gekrümmte Straße hinunter in Richtung des Vorstadt Platzes, mit den knorrigen Bäumen und dem Trinkbrunnen, also entgegen der Richtung Stadtmitte, wohin ich beinahe täglich ging und dabei das Haus mit dem Schild an der Tür für gewöhnlich links liegen ließ. Lange Zeit war es mir nicht bewusst aufgefallen, doch seit ein paar Monaten kam es mir immer öfter in den Blick. So wie das mit Dingen ist, die man irgendwann, ohne genau sagen zu können wann, entdeckt und die einen von diesem Moment an zwingen, sie anzusehen. Auch wenn sie sich nie ändern, so wie dieses Schild. Das Gebäude, an dessen Eingangstür es hing, reihte sich ganz selbstverständlich, wie das, in dem ich wohnte, in die geschlossene Häuserfront jener krummen Gasse, wie es sie in dieser riesigen Stadt zu Hunderten gibt und die einem manchmal durch ihre Verwechselbarkeit die Orientierung schwer machten. Das Büro, von dem das Schild kündete, musste sich wohl im Erdgeschoss befunden haben, das sich von den drei darüber liegenden Etagen sichtlich durch wesentlich höher gestreckte Fenster abhob. Die Fenster des Erdgeschosses waren, wie auch die aller anderen Geschosse mit schweren Holzfensterläden verschlossen, die keinerlei Einblick gewährten. Das war so, seit ich dort wohnte, kam mir vor. Jedes weitere Mal, da ich an dem Haus vorbei kam, suchte ich irgendein Detail, das mir verraten würde, um welche Art von Büro es sich gehandelt haben konnte. Ich versuchte alles zu lesen, was auf die Nutzung hindeuten mochte. Bald hatte sich das Türschild beiläufig zu einem Rätsel für mich gewandelt. Mich ließen die Fragen, um welche Art von Büro es sich gehandelt haben mag und wer da seinen Dienst getan und schließlich beendet hatte, nicht mehr los. Noch nie, auch nicht unbewusst in der Zeit vor meiner bewussten Zurkenntnisnahme des Büros und des Schildes, da war ich mir sicher, hatte ich je eine Person das Haus betreten, oder aus ihm herauskommen sehen. Schon sehr lange Zeit kündete das Schild von einer Beendigung einer Tätigkeit, einer Beendigung für immer, wie zu diesem Zeitpunkt berechtigter Weise, anzunehmen war. Das Schild war nur noch letzter Beleg dafür, dass hier überhaupt jemals irgendjemand etwas getan hatte. Für jemanden, der diese Tätigkeit noch einmal in Anspruch nehmen hätte wollen, hat man wohl das Schild angebracht, um ihm einen zweiten Anlauf zu ersparen. Man hätte auch einfach zusperren können und rücksichtslos ausziehen können. Aber man hatte es für nötig befunden, diejenigen zu informieren, bei denen die Möglichkeit bestand, dass sie der Dienste benötigten. Vielleicht war es ein stadtbekanntes Unternehmen mit regem Parteiverkehr, dann musste es den Anwohnern aber noch im Bewusstsein sein, dass es hier geschäftig zuging. Wenn ich jemanden danach fragte, von dem ich glaubte, er könnte davon wissen, weil er länger als ich hier wohnte, bekam ich meist nur zur Antwort: "Mi dispace! Ist mir nichts bekannt!". Eine Anlaufstelle großen Ausmaßes, so folgerte ich, konnte es nicht gewesen sein. Mir konnte auch niemand auch nur eine Person beschreiben, die dort jemals ein- oder ausgegangen war. Das weckte endgültig meine Neugier. Je mehr Ahnungslose ich gesprochen hatte, umso gieriger wurde ich. Es weckte in mir den Spürsinn und bald schon entbrannte ein regelrechtes Jagdfieber, herauszubekommen von welchem Büro dieses Schild kündete. Es erschien mir zunehmend merkwürdig, dass ein Schild die Schließung eines Büros ankündigte, von dem niemand mehr wusste, was es überhaupt für ein Büro gewesen war und wer darin gewirkt hatte. Das Schild selbst gab ja leider auch keine Auskunft über Inhaber und Dienstleistung; abgesehen von den Initialen S. & M. Handelt es sich dabei um die Bezeichnung des Büros? Die Namen der Betreiber, die mit S. und M. begannen? Ich dehnte meine Erkundigungen auf öffentliche Quellen aus. In einem Gewerberegister musste man schließlich fündig werden. Möglicherweise existierten auch Fotos von dem Büro. Zeitungsartikel oder andere Medienberichte könnten zufällig weiterhelfen. Ich besuchte Ämter und Redaktionen und durchstöberte Archive der Stadt und auch private Fotoalben. Ich investierte jede freie Minute dafür, herauszubekommen, was sich einst in diesen Räumen zugetragen hatte. Und weshalb seit Jahren niemand mehr diese Räume nutzte, oder auch nur aufsuchte. Irgendwann einmal muss es jemanden gegeben haben, der sich vorgenommen hatte eine Sache zu tun, der also einen Vorsatz verfolgte, eine reine Idee vielleicht, wenn nicht gleich gar eine Illusion! Eine Absicht aber immerhin, deren Verwirklichung ihn veranlasst hatte, Räumlichkeiten anzumieten und zu beziehen. Das Schild sagte zumindest, dass es einen oder mehrere Akteure gegeben haben musste, die sich einer Sache verschrieben hatten, an der sie arbeiten wollten. Es legte letztes Zeugnis davon ab. Sie waren losgezogen, sich einen geeigneten Ort auszusuchen, der es ihnen erlauben würde, an dieser für sie bedeutenden Sache zu arbeiten. Vieleicht brauchten sie Ruhe und Abgeschiedenheit, vielleicht auch gute Erreichbarkeit, einen zentralen Punkt in dieser Welt. Es kommt darauf an, ob sie an einer Sache arbeiteten, die für viele Menschen von Bedeutung war, oder ob sie nur für sich selbst arbeiteten. Wofür eher die mangelnde Frequentierung des Büros sprach. Aber wovon sollten sie die Miete bezahlt haben, wenn sie ausschließlich für sich selbst eine Sache verfolgt hatten. Es war also doch eher etwas, das sie für die Menschen zu machen beabsichtigt hatten, weshalb sonst ein Büro mitten in einer der größten Städte dieser Welt und eine horrende Miete bezahlen. Warteten die Menschen darauf, dass jemand eine solche, welche Sache auch immer, endlich für sie tun würde, ihnen ihr Leben zu erleichtern, ihnen überhaupt erst ein gutes Leben zu ermöglichen? Handelte es sich um etwas Lebensnotwendiges, dann musste diese Sache jetzt irgendwo anders erhältlich sein, da das Büro seit Jahren geschlossen war. Oder hat die Sache niemandem wirklich genützt und war deshalb das Büro überflüssig geworden und daher wieder geschlossen worden? Hatten die Inhaber eine Idee, die keinen interessierte? Waren sie selbst davon nicht mehr überzeugt? Sie hatten sich in Unkosten und vielleicht auch Schulden gestürzte, aber waren dann auf der Strecke geblieben. Der Besitzer des Hauses hatte mir nach hartnäckigem Bitten versprochen, wenn er wieder einmal in der Gegend sei, um nach dem Rechten zu sehen, würde er mich davon in Kenntnis setzen und mir erlauben, zusammen mit ihm, einen Blick in die Büroräume zu werfen. Allerdings könnte er mir gleich sagen, dass die Räume nichts Aufregendes beherbergten. Es stimme wohl, dass das Büro seit einiger Zeit geschlossen war und auch zwischendurch nicht wieder geöffnet worden war. Es sei ihm, dem Hausbesitzer, aber gleichgültig, weil er auf die Miete für dieses Büro auch getrost verzichten könne. Ab und an müsse er, aber nach dem Rechten sehen, weil ihm die Räumlichkeiten selbst persönlich am Herzen liegen, wie er sich ausdrückte, und er darauf achten müsse, von Zeit zu Zeit frische Luft herein zu lassen, dazu habe er auch die ausdrückliche Erlaubnis der Mieter, sagte er, mehr wisse er allerdings nicht von den beiden. Es waren zwei Personen, die sich in das Büro eingemietet hatten, so viel hatte mir der erste Kontakt verraten, und dieses seit geraumer Zeit nicht mehr nutzten, das Mietverhältnis aber auch nicht aufgekündigt hatten. Was die beiden Buchstaben S. & M. bedeuteten, wusste der Hauseigentümer nicht. Er hatte die Mieter nie persönlich getroffen. Sie hätten ihm, dem Hausbesitzer auch nie im Detail erzählt, wofür sie das Büro benötigen würden, er hatte aber den Eindruck, es war ein unbedingter Wille dahinter, und dass es den beiden sehr wichtig gewesen war, habe ihm sehr gefallen. So jemanden trifft man selten in unseren Tagen, meinte der Hausbesitzer. Man hatte mit Nachdruck darauf abgezielt, genau diese Räume zu bekommen. Der Preis sei dabei unwichtig gewesen. Er, der Hausbesitzer, hätte wahrscheinlich auch das Doppelte verlangen können, wie er sich ausdrückte. Die Räume waren völlig leer und der Hausbesitzer konnte nicht beschwören, ob jemals irgendeine Einrichtung von den Mietern eingebracht worden war. Sie hatten behauptet, dass es ein Büro für eine besondere Sache werden würde und sie, die Inhaber, dafür ein besonderes Büro bräuchten, daher spielte die Höhe der Miete keine Rolle, wie sie, die Inhaber, sagten. Er, der Vermieter, der Hausbesitzer, konnte sich zwar nicht erklären, was an seinem Haus das Besondere war, aber eines habe er gelernt, auf das Gerede seiner Mieter darf man nicht so viel geben, wie er sich ausdrückte, die bilden sich schon manchmal auch etwas ein! Und wenn so ein Mieter sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann fährt man am besten, wenn man ihm seinen Glauben lässt. Solange sie zahlen, sagte er und rieb sich die Finger, habe er nichts einzuwenden. Doch in diesem Fall sei das ja noch einmal ganz etwas anderes gewesen. Er habe bei den beiden sogar eine Ausnahme gemacht, weil ihm das Anliegen der beiden schon sehr gefallen hatte. Er habe ihnen gesagt, dass er ihr Unternehmen für gut befände und es deshalb unterstützen wolle, indem er ihnen keine Miete für das Büro abverlangen würde
...

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