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Erwartbarkeit in der (Bau-)Kultur
Architekturprodukt

voin Jürgen Mick

Es scheint ein ergiebiger Ansatz zu sein Architektur aus dem Spannungsfeld »Produkt - Marke« heraus zu beobachten, weil auch Architektur sich nicht länger einem Anspruch entziehen kann, der mittlerweile an nahezu alle Lebensbereiche heran getragen wird: Erwartbarkeit.

Erwartungen spielen nun einmal eine fundamentale Rolle in unserem Leben. Um nicht zu sagen, in einer Umgebung höchster Komplexität wird unser Leben zu Lasten von Spontaneität von Erwartungen dominiert. Diese Verstärkung zu Lebenserwartungen ist es, das uns erlaubt uns als Konsumenten zu charakterisieren. Von den Speisen über die Kleidung bis zum Automobil wünschen wir Produkte, die möglichst keine Überraschungen bergen. Das Steak hat der finanziellen Gegenleistung entsprechend zu jeder Tages- und Jahreszeit seinem Ideal entsprechend beschaffen zu sein. Unregelmäßigkeit in Faser und Fettgehalt sind ebenso unerträglich geworden, wie launische Keilriemen oder verklemmte Fensterheber bei der Karosse. Unser Leben scheint Unzulänglichkeiten nichts mehr entgegen zu setzen zu haben. Geradezu wehrlos begegnen wir aus einer Komfortzone heraus angsterfüllt dem Ungewissen und Überraschenden. Und wir sind beleidigt und fühlen uns betrogen, wenn die Rechnung einmal nicht aufgeht. Konsequenzen scheinen zur Zumutung mutiert zu sein, ein Schaden zu teuer, unzumutbar und verlangt stets nach Kompensation. Die Versicherungsbranche jauchzt, ob der Verletzlichkeit eines hoch nervösen Wohlstandsbewusstseins. So gehen wir erwartungsvoll und mit steigendem Anspruch durchs Leben und erhalten in der Regel, was wir erwarten. Die wichtigste Funktion auf unserem Weg durch das Labyrinth der Mannigfaltigkeit übernehmen dabei Marken. Über eine Marke wird ein Produkt zu einem sicheren Ereignis. Die Garantie, die sich über Standardisierung der Produktion in einer Marke manifestiert, gibt Sicherheit und erzeugt Vertrauen. Und erst die Standardisierung von Produktion erlaubt es Marken zu etablieren, da sie als Garanten aufzutreten können. Marken sind eben (nach dem Verlust jeglicher Transzendenz) das höchste, womit wir unseren Alltag noch absichern können. In einer Risiko durchsetzten Zeit stellt Vertrauen das größte Kapital dar, über das man verfügen kann. Deshalb garantiert Vertrauen Zuwachs. Der daraus resultierende sich selbst festigende Kreislauf, wird mit Erfolg von der Industrie mit immer mehr standardisierten Produkten gespeist. Unser Konsumkreislauf verweist vor allem auf Stabilität und Sicherheit. Abweichung und Unzulänglichkeit sind verpönt und werden ausgesondert. Selbst das Experiment wird standardisiert und in Forschungs- und Entwicklungslabors interniert, um das Risiko vom Einzelnen fern zu halten. Folgekosten sind dem Einzelne schon bei Alltagsprodukten kaum mehr zuzumuten. Rückgaberechte und Ersatzleistungsverträge begleiten jede Transaktion. Erst recht muss dies natürlich für den high-expensive Bereich der Architektur gelten. Ein architektonisches Bauwerk kann mittlerweile genau deswegen als ein Produkt bezeichnet werden, weil sein Herstellungsprozess vorrangig den Bemühungen Rechnung trägt Herstellung und Gebrauch voraussehbar zu machen und Erwartungen gerecht zu werden. Das Schema "Erwartung und Einlösung", das vom "Konsumenten" in alle Lebensbereiche und so auch in die Architektur kopiert wird, hat ein hochkomplexes Zusammenspiel von Regeln und Normen, Gesetzen, Strafen und Versicherungen etabliert, welches als Systematisierung von Herstellungsbedingungen beschrieben werden kann.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Idee der Standardisierung in die Bauwirtschaft infiltriert. Vorbild dafür war die aufkommende Taylorisierung (Frederick Winslow Taylor 1856-1915), wie sie zuerst in der Automobilindustrie umgesetzt wurde. Allerdings musste sich in der Baukultur als unpraktikabel erweisen, was in der Automobilfertigung perfektioniert wurde: Die Standardisierung des Produkts. Zu variabel sind die Anforderungen an Gebrauch und Herstellung von Bauwerken, als dass man sie einem Automobil entsprechend als Produkt konfektionieren hätte können.

Während es dennoch lebensweltlich umfassend zum Usus wurde, das zu bekommen, was man bestellt und bezahlt hat, konnte die Bauwirtschaft dieses Versprechen lange Zeit nicht mithalten. In der Bauwirtschaft bedurfte es einer Größenordnung mehr, um Standard und Zuverlässigkeit zu garantieren. Zahlreiche Beteiligte und vor allem der Unikat-Charakter von Bauwerken sind nicht in die Form einer taylorisierten Produktionsstraße zu gießen. Allerdings kann man beobachten, dass Standardisierung sich, wenn schon nicht auf das Produkt selbst, zunehmend auf den "Entstehungsprozess" anwenden ließ. Die Zuverlässigkeit des "Produktes" selbst wird über Garantien der Ersteller abgedeckt. Für die Architektur müssen deshalb typischerweise die Ersteller einen Standard an Zuverlässigkeit und Sicherheit nachweisen, da dies das "Produkt ohne Erfahrungswert" eben nicht leisten kann. Die Dienstleister, vornehmlich Architekten, werden hierfür in die Funktion einer Marke gestellt. Glaubwürdig erreichen lässt sich dies, wenn der Herstellungsprozess erkennbar als dauerhaft und endlos replizierter Ablauf darstellbar ist. Dazu dienen Formalitäten und standardisierte Verfahren, allgemeingültige Normen und Regeln und vorhersehbare Sanktionen. Diesen immensen Aufwand, um Sicherheit in den Fertigungsprozess von Bauwerken zu bringen, kann nicht eine feste Form der Organisation leisten. Eine Vielzahl von Institutionen müssen eingebunden sein, dieses "Korsett" zur Fertigung zu schnüren. Unzählige Beteiligte müssen zu einem ineinander greifenden Räderwerk geformt werden. Möglich machte dies das Hineinkopieren des Schemas "Erwartung und Einlösung" vom "Konsumenten" in den Fertigungsprozess des Bauens. Auf Anreiz dessen sich ein hochkomplexes Zusammenspiel von Regeln und Normen etablierte, welches als Systematisierung von Herstellungsbedingungen beschrieben werden kann. Noch einmal zu betonen ist, dass dies fern jeder zentral gesteuerten, festen Organisationsform sich ereignet.

Das Produkt (das dennoch Unikat bleibt) rechtfertigt sich über bewährte Abläufe einer "gefestigten" Entstehungsstruktur. Das Bauen wird einer Systematik einverleibt, die von hoher Diversifizierung bei gleichzeitig restriktiver Normierung zusammen gehalten wird, auch wenn der Anschein aufrecht erhalten bleiben soll, als leiste dies die "Marke", der Architekt. Stattdessen müssen Normen vorausgesetzt werden, um sie einhalten zu können, um Gewährleistungen geben zu können und Abläufe rechtfertigen zu können und bei nicht Einhaltung Schadenersatz einfordern zu können. Die Bedingungen zu Herstellung festigen sich zu einem "Skelett", an dem alle Beteiligten sich entlang hangeln können, sich zu rechtfertigen und mittels dessen sich Vertrauen generieren lässt. Die Beteiligten verdichten sich in selbst auferlegtem, "vorauseilendem Gehorsam" zur "Gedächtnisstruktur" eines Herstellungsprozesses.

Historisch erscheint die fehlgeschlagene Bestrebung der Standardisierung des Produktes "Bauwerk" unter den Prämissen eines unnachgiebigen Konsumentenverhaltens, das im Wesentlichen als Erwartungshaltung charakterisiert werden kann, in die Systematisierung seiner Herstellungsbedingungen umgeschlagen zu sein. (Architektur, die sich jetzt noch sowohl der Systematisierung der Herstellung, als auch der Erwartungen des Marktes gewaltsam zu entziehen sucht, muss unverhältnismäßig teuer erkauft werden und wird zudem unter Kunst rezipiert.) Ein architektonisches Bauwerk ist so gesehen zwar eines der aufwendigsten, aber dennoch ein über Standardisierung erstelltes Produkt. Signifikant dafür ist die erhöhte gegenseitige Abhängigkeit und gesteigerte Nervosität aller in der Prozess-Kette agierenden. Um nicht aus der Produktionskette zu fallen wird jetzt jeder immer stärker in die Pflicht genommen zu tun, was er tun muss. Abweichungen werden immer skrupelloser sanktioniert. Architektur heute fußt vor allem auf einer Systematik zur Produktion immens teurer Unikate. So spiegeln sich in Technik und Gestaltung von Bauwerken nicht länger gesellschaftlicher Zeitgeist (der selbstredend auch nicht länger verbindlich auszumachen ist), als vielmehr eine standardisierte Operationspraxis. Ob Baukultur auf dem besten Wege ist in einer Monokultur zu verkümmern, könnte angesichts der sich in Moden bewegenden Architektursprache (nicht zu vergleichen mit historischen Baustilen) befürchtet werden, muss aber an anderer Stelle untersucht werden. Dazu gehört sicherlich zu klären, in wie weit Produkte und Marken Teil von (Bau-)Kultur sein können. Vielleicht ist es bereits ein Hinweis dafür, dass Baukultur und Baukritik kaum noch in der Lage sind einen fachinternen, architekturtheoretischen Diskurs zu stiften, sondern vornehmlich in den Feuilletons und Kulturkanälen ihre Rezeption finden.

10.03.2012

 

 
Angeregt durch Florian Stocker
Frage des Monats Jan/Feb 2012
 
 
 
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