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Allgemeines Glück gesucht!
Warten auf die Rückkehr des Politischen.

von Jürgen Mick

Gesucht: Das allgemeine Glück! (bonheur commun). Das allgemeine Glück ist eine Verallgemeinerung einer eh schon schwer zu fassenden individuellen Kategorie und insofern äußerst problematisch. Quasi so schlimm, wie die obligate "Vermenschlichung" der Gesellschaft. Aber darf man anzweifeln, ob das allgemeine Glück wirklich noch gefragt ist?

Angesichts der verkniffenen, geradezu verzweifelten Gesichtszüge vor den Ladenkassen zur Vorweihnachtszeit darf man! Kann es der Anfang vom Ende sein? Kann es den Crash des Systems bedeuten? Oder könnte es der ultimative Weckruf sein? Also, nicht die Vorweihnachtspanik (die kennt man ja), nein die allgemeine Verdunkelung des Welthorizontes. Der Weckruf, den die "mittlere" Elite (das Paradoxon, an dem sich alles aufhängt), oder besser die obere Mittelschicht, nicht mehr überhören darf. Genau die "liberale" Mittelschicht, die sich selbst mit dem Anspruch zur Elite unter Druck setzt, die sich, umkreist von den Vergessenen, langsam beginnt zu ängstigen. Und die sich in stillen Momenten fragt, ob sie vielleicht mittlerweile schon dazu gehört, zum Establishment?

Links wie rechts applaudiert man sich bereits gegenseitig, wenn nur die Köpfe des Establishments rollen. Wenn denn nur die Nutznießer der Globalisierung endlich entmachtet werden, dann - Pardon - scheißt man auf politische Klassen und ebensolche Correctness. Die vereinten politischen Extrema schließen den Ring um die gesättigte Pseudo-Mitte, die sich hinter weltbürgerlichen Toleranz-Floskeln verschanzt, um sich dann unbehelligt weiter ihrer gewinnbringenden Geschäftigkeit hingeben zu können. Derweil die Dreschflegel gezückt, die Schlingen geknüpft werden, für sie, die längst, während ihrer Sozialisierung durch die Leistungsgesellschaft, vergessen haben, was Gemeinwohl heißt.

Dabei sollte man in dem Zusammenhang endlich begreifen, dass Demokratie kein Legitimitätsmäntelchen für Turbokapitalismus sein darf, sondern bedeutet: Teilhabe für alle! (ohne Wenn und Aber). Sonst funktioniert Demokratie nicht, wenn nicht jedem von dem Wohlstand, den das "Gemeinwesen" erwirtschaftet etwas abbekommt. (Sozial-Hilfe ist also der Normalfall!) Die Ohrfeige für das Establishment sollte jetzt bis von jenseits des Großen Teichs gehört worden sein. Sie könnte - will man Optimismus walten lassen - immerhin der Weckruf sein! Weckruf für ganz Europa, das sich erschöpft die Augen reibt und vor den Trümmern einer gescheiterten Idee erwacht.

Aber ehe sich die schrecklichsten Dystopien verwirklichen, sollte man rechtzeitig ablassen und abgeben von den überreichlichen Chancen derer, die sie ausleben können, weil sie sich leisten können. Abgeben von den Versorgungsleitungen, die nur noch denen zukommen, die glauben es sich verdient zu haben oder die sie zumindest gerade noch finanzieren können, um sich wenigstens auf diese Weise für ihre absehbare Lebenszeit einen Rest Menschenwürde zu erfeilschen.

Sei es ihnen vergönnt, doch wann und wo erleben wir noch, dass menschenwürdiges Leben nicht vom Vermögen abhängt? Wann erleben wir endlich die Rückkehr des Politischen? Der Kunst des richtigen gemeinsamen Handelns (hier ist ausdrücklich nicht der Warenhandel gemeint)? Richtig, an Weihnachten! Weihnachten ist das Fest der Heimkehr, der Besinnung und der gemeinsamen Tafel, die Rückkehr aller in die Polis? Dorthin, wo über Politik zu reden wieder Sinn macht. Teilhabe first! Politisieren ausdrücklich erlaubt!
Dazu muss erinnert werden, was "das Politische" einst meinte. Einst, als Politik attraktiver war als Shopping, unterhaltsamer als Event und Entertainment und Zusammenleben bedeutsamer, als die individuelle Karriere. In Zeiten also, da man zusammen lachte, anstatt sich übereinander lustig zu machen und Schadenfreude als untugendhaft galt. Als das Fragen über das gute Leben mehr bedeuteten als Vorsorgeuntersuchungen und der aktuelle Ernährungskalender und die Antworten nicht in Wellness- und Schönheitssalons gesucht wurden, sondern in den Fakultäten platonisch-aristotelischer Denkschulen.

Und doch war jene auch die lustigere Zeit, da man den Genüssen des leiblichen Wohls und den Musen ausgesprochen zugeneigt war. Ja, man zählte sie einem jeden diätisch sinnvollen Leben unabdingbar hinzu. Also wie nur hat man - damals im alten Athen, dem Geburtsort des Politischen - sich zwischen Symposion und gleichgeschlechtlichem Beischlaf noch zu jeder Gelegenheit auf das Politische konzentrieren können? Ach ja! Man glaubte tief und innig, all das ganze gute Leben sei schlicht das Resultat eines gelingenden Zusammenlebens aller und nicht ein verdientes Privileg. Man dachte wirklich, wenn es allen gutgeht, nur dann ginge es einem selbst gut! Irgendwie logisch.

Politisch zu sein, hieß also nichts anderes, als die gemeinsame Suche nach dem allgemeinen Glück! Wenn das Zusammenleben sich so organisieren ließe, dass es allen ein gutes Leben bescherte und nicht nur zu Weihnachten Almosen, dann ließe sich das Leben ruhigen Gewissens genießen. Einem solchen geradezu befreienden Schluss folgend, müsste sich der Teilhabe am Politischen doch wieder Attraktivität abgewinnen lassen können. Da ließe sich gerade bei der "mittleren" Elite - also der gehobenen, verängstigten Mittelschicht - das Gewissen beruhigen. Was gäbe es jetzt in diesen unruhigen Zeiten Besseres?
Gerade während des bevorstehenden Weihnachtsgelages - wenn einem die Völlerei zusetzt - könnte man sich darüber einmal unterhalten. Wie es wäre, wenn man sich, während man sich die Wachtelbrüstchen einführt, sich im steten Bewusstsein wähnte, dass einem jeder Bissen gegönnt und nicht nur gewährt wäre, durch ein gelingendes Zusammenleben aller: Warten auf die Rückkehr des Politischen, statt Warten auf das Christkind!

Man könnte sich - zwischen Hauptspeise und Nachtisch - einmal dem Gedankenspiel hingeben, wie es wäre, fürderhin etwas Abzugeben (also, nicht gemeint ist der alljährliche Lösegeld-Spendenmarathon und der innerfamiliäre Vermögenstransfer): Abgeben von der Macht der Drahtzieher (Lobbyisten) an die Macht Aller (die Parlamente), von der Freiheit (der Wenigen) machen zu können, was man sich leisten kann, an die Freiheit zur Chancengleichheit (Aller), von der Gleichheit unter Gleichen an die Gleichheit unter Ungleichen - auf dass allen noch ein weiteres Fest beschieden sei! Denn, wie sagte schon Sokrates: Nicht der übervolle Magen, nur das allgemeine Glück lässt uns ruhig schlafen! - Oder war es Obelix?

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