Gesucht:
Das allgemeine Glück! (bonheur commun). Das allgemeine Glück
ist eine Verallgemeinerung einer eh schon schwer zu fassenden individuellen
Kategorie und insofern äußerst problematisch. Quasi so
schlimm, wie die obligate "Vermenschlichung" der Gesellschaft.
Aber darf man anzweifeln, ob das allgemeine Glück wirklich noch
gefragt ist?
Angesichts der verkniffenen, geradezu verzweifelten Gesichtszüge
vor den Ladenkassen zur Vorweihnachtszeit darf man! Kann es der Anfang
vom Ende sein? Kann es den Crash des Systems bedeuten? Oder könnte
es der ultimative Weckruf sein? Also, nicht die Vorweihnachtspanik
(die kennt man ja), nein die allgemeine Verdunkelung des Welthorizontes.
Der Weckruf, den die "mittlere" Elite (das Paradoxon, an
dem sich alles aufhängt), oder besser die obere Mittelschicht,
nicht mehr überhören darf. Genau die "liberale"
Mittelschicht, die sich selbst mit dem Anspruch zur Elite unter Druck
setzt, die sich, umkreist von den Vergessenen, langsam beginnt zu
ängstigen. Und die sich in stillen Momenten fragt, ob sie vielleicht
mittlerweile schon dazu gehört, zum Establishment?
Links wie rechts applaudiert man sich bereits gegenseitig, wenn nur
die Köpfe des Establishments rollen. Wenn denn nur die Nutznießer
der Globalisierung endlich entmachtet werden, dann - Pardon - scheißt
man auf politische Klassen und ebensolche Correctness. Die vereinten
politischen Extrema schließen den Ring um die gesättigte
Pseudo-Mitte, die sich hinter weltbürgerlichen Toleranz-Floskeln
verschanzt, um sich dann unbehelligt weiter ihrer gewinnbringenden
Geschäftigkeit hingeben zu können. Derweil die Dreschflegel
gezückt, die Schlingen geknüpft werden, für sie, die
längst, während ihrer Sozialisierung durch die Leistungsgesellschaft,
vergessen haben, was Gemeinwohl heißt.
Dabei sollte man in dem Zusammenhang endlich begreifen, dass Demokratie
kein Legitimitätsmäntelchen für Turbokapitalismus sein
darf, sondern bedeutet: Teilhabe für alle! (ohne Wenn und Aber).
Sonst funktioniert Demokratie nicht, wenn nicht jedem von dem Wohlstand,
den das "Gemeinwesen" erwirtschaftet etwas abbekommt. (Sozial-Hilfe
ist also der Normalfall!) Die Ohrfeige für das Establishment
sollte jetzt bis von jenseits des Großen Teichs gehört
worden sein. Sie könnte - will man Optimismus walten lassen -
immerhin der Weckruf sein! Weckruf für ganz Europa, das sich
erschöpft die Augen reibt und vor den Trümmern einer gescheiterten
Idee erwacht.
Aber ehe sich die schrecklichsten Dystopien verwirklichen, sollte
man rechtzeitig ablassen und abgeben von den überreichlichen
Chancen derer, die sie ausleben können, weil sie sich leisten
können. Abgeben von den Versorgungsleitungen, die nur noch denen
zukommen, die glauben es sich verdient zu haben oder die sie zumindest
gerade noch finanzieren können, um sich wenigstens auf diese
Weise für ihre absehbare Lebenszeit einen Rest Menschenwürde
zu erfeilschen.
Sei es ihnen vergönnt, doch wann und wo erleben wir noch, dass
menschenwürdiges Leben nicht vom Vermögen abhängt?
Wann erleben wir endlich die Rückkehr des Politischen? Der Kunst
des richtigen gemeinsamen Handelns (hier ist ausdrücklich nicht
der Warenhandel gemeint)? Richtig, an Weihnachten! Weihnachten ist
das Fest der Heimkehr, der Besinnung und der gemeinsamen Tafel, die
Rückkehr aller in die Polis? Dorthin, wo über Politik zu
reden wieder Sinn macht. Teilhabe first! Politisieren ausdrücklich
erlaubt!
Dazu muss erinnert werden, was "das Politische" einst meinte.
Einst, als Politik attraktiver war als Shopping, unterhaltsamer als
Event und Entertainment und Zusammenleben bedeutsamer, als die individuelle
Karriere. In Zeiten also, da man zusammen lachte, anstatt sich übereinander
lustig zu machen und Schadenfreude als untugendhaft galt. Als das
Fragen über das gute Leben mehr bedeuteten als Vorsorgeuntersuchungen
und der aktuelle Ernährungskalender und die Antworten nicht in
Wellness- und Schönheitssalons gesucht wurden, sondern in den
Fakultäten platonisch-aristotelischer Denkschulen.
Und doch war jene auch die lustigere Zeit, da man den Genüssen
des leiblichen Wohls und den Musen ausgesprochen zugeneigt war. Ja,
man zählte sie einem jeden diätisch sinnvollen Leben unabdingbar
hinzu. Also wie nur hat man - damals im alten Athen, dem Geburtsort
des Politischen - sich zwischen Symposion und gleichgeschlechtlichem
Beischlaf noch zu jeder Gelegenheit auf das Politische konzentrieren
können? Ach ja! Man glaubte tief und innig, all das ganze gute
Leben sei schlicht das Resultat eines gelingenden Zusammenlebens aller
und nicht ein verdientes Privileg. Man dachte wirklich, wenn es allen
gutgeht, nur dann ginge es einem selbst gut! Irgendwie logisch.
Politisch zu sein, hieß also nichts anderes, als die gemeinsame
Suche nach dem allgemeinen Glück! Wenn das Zusammenleben sich
so organisieren ließe, dass es allen ein gutes Leben bescherte
und nicht nur zu Weihnachten Almosen, dann ließe sich das Leben
ruhigen Gewissens genießen. Einem solchen geradezu befreienden
Schluss folgend, müsste sich der Teilhabe am Politischen doch
wieder Attraktivität abgewinnen lassen können. Da ließe
sich gerade bei der "mittleren" Elite - also der gehobenen,
verängstigten Mittelschicht - das Gewissen beruhigen. Was gäbe
es jetzt in diesen unruhigen Zeiten Besseres?
Gerade während des bevorstehenden Weihnachtsgelages - wenn einem
die Völlerei zusetzt - könnte man sich darüber einmal
unterhalten. Wie es wäre, wenn man sich, während man sich
die Wachtelbrüstchen einführt, sich im steten Bewusstsein
wähnte, dass einem jeder Bissen gegönnt und nicht nur gewährt
wäre, durch ein gelingendes Zusammenleben aller: Warten auf die
Rückkehr des Politischen, statt Warten auf das Christkind!
Man könnte sich - zwischen Hauptspeise und Nachtisch - einmal
dem Gedankenspiel hingeben, wie es wäre, fürderhin etwas
Abzugeben (also, nicht gemeint ist der alljährliche Lösegeld-Spendenmarathon
und der innerfamiliäre Vermögenstransfer): Abgeben von der
Macht der Drahtzieher (Lobbyisten) an die Macht Aller (die Parlamente),
von der Freiheit (der Wenigen) machen zu können, was man sich
leisten kann, an die Freiheit zur Chancengleichheit (Aller), von der
Gleichheit unter Gleichen an die Gleichheit unter Ungleichen - auf
dass allen noch ein weiteres Fest beschieden sei! Denn, wie sagte
schon Sokrates: Nicht der übervolle Magen, nur das allgemeine
Glück lässt uns ruhig schlafen! - Oder war es Obelix?
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