Transdisziplinäre Plattform künstlerischer und kultureller Beiträge zum Globalbewusstsein
Jetzt-zeichnen-AG
 
 
     
Jetzt-zeichnen-AG
 
Die Kolumne
2018 2017 2016 2015
 
Seitenstechen
 
16.12.16 Allgemeines Glück gesucht
16.11.16 Hitler ruft!
16.10.16 Postfaktisch
16.09.16 Kick Ass
16.06.16 No Future
16.05.16 Rocken bis der Arzt kommt
16.04.16 Dank der Alternative
15.02.16 »Smart« das neue »Spießig«

 

Dank der Alternative
Weshalb die Alternativen keine Alternative mehr sind

von Jürgen Mick

Man muss auch mal dankbar sein: Auch wenn man sauer werden könnte, dass sie einem sämtliche Reservoirs des Protestes abgraben. Weil sie nämlich gegen alle und jeden hetzen. Und kein Empörungsraum bleibt, in dem kritischer Journalismus oder auch nur landläufiger Protest möglich wäre, ohne IHNEN nach dem Maul zu reden. Die rechtspopulistischen Parteien und ihre Wiedergänger, sie -, die nur allzu gern gegen die Lügenpresse wettern, - sie haben sich da jetzt das Monopol gesichert, für alle gegenteilige Meinungen.

Als hätte IHNEN jemand gesteckt, dass es in unserer Zeit keinen besseren Konsens gibt, als den, dagegen zu sein. Tut man dies mit ungeahnter Konsequenz und Radikalität, untergräbt man jede sachliche und auch unsachliche Kritik, die nur eine Spur weniger radikal, - weil bemüht Reste von Objektivität zu wahren -, sich äußert. Damit beschneidet man alle Berufskritiker ihrer angestammten Kernkompetenz. Indem man keine Themen, sondern "das Dagegensein" besetzt, erklimmt man die Lufthoheit jedes Diskurses - ohne tatsächlich je einen solchen zu führen - allein, weil man in einer Metadiskussionsebene operiert und somit allgegenwärtig ist. Das hebelt jede Diskussion aus und vereinnahmt sie dennoch, denn Dagegensein ist das bestimmende Moment jeder Opposition und Ansatz-Instrumentarium jeden Versuches Veränderungen und Fortschritt anzustoßen. Die rücksichtslose Besetzung des Kritikinstruments ist der schamlose Zug jeder Pauschalisierung.

Als Reaktion auf diese Obszönität nützt es nichts sich zu echofieren. Sie zu "über"-trumpfen, müsste man noch eine Metaebene höher beziehungsweise tiefer klettern und die Fäuste sprechen lassen. Dennoch gibt es positive Reaktionen zu verzeichnen: Es generiert "das Dagegensein" eine Kompensationsreaktion - und für diese sollte man letztendlich dankbar sein - sie bietet nämlich ein Gegenszenario auf, welches mit Verstreichen der Zeit, "das Dagegensein" als pures Dagegensein entlarvt. Und so bewirkt die Unverschämtheit, was vormals nie jemandem in den Sinn gekommen ist, wenn er etwas verändern wollte, die Affirmation des Guten. Sie erinnert an die guten Dinge! Sie mobilisiert als Kompensation die unironische Affirmation.

Man registriert das Besinnen auf zu verteidigende Werte und gerngesehene Tugenden, auf das, was wir schätzen und in unserem Verständnis von freiem Leben nicht missen wollen. Man könnte es eine Repulsion in Form einer Besinnungswelle bezeichnen, die sich anschwingt und die ausgräbt, was längst unter einer Kruste obligatorischer - vielleicht miesmacherischer - Kritikverpflichtung leichtsinnig dem Obligatorischen und Selbstverständlichen übergeben wurde und somit dem Vergessen übergeben wurde. Was ist es denn eigentlich, was es möglich machte, dass wir uns erlauben können, gegen etwas zu sein? Das, was man die Kultivierung dessen bezeichnen könnte, was gemeinhin unter Menschenrechte subsumiert wird. Jene Dinge, auf die wir stolz sein können, eine Kultur, die tatsächlich das friedlichen Zusammenleben befördert hat, weil sie traditionelle Ungerechtigkeiten in Gleichberechtigungen gewendet hat. Und Gleichheit meint da - ganz im Sinne Odo Marquards - das Recht für jedermann, anders sein zu dürfen.

Wenn man nicht mehr der Beste auf dem Feld ist, dann wechselt man das Feld. Allein weil die Alternativen heute keine Alternative mehr sind, sondern nur die extrem primitive Umsetzung eines allgemeinen Schlechtredens, verdienen sie die Bezeichnung extremistische Partei. Deren Einfallslosigkeit zeigt sich spätestens beim Studium ihrer möglichst lange und weit hinter dem Berg gehaltenen Handlungsabsichten, sprich Partei-Programme. Beruhigend ist nur, letztendlich findet sich irgendwann derartig totalitärer Propagandismus stets in der selben Zwickmühle gefangen, worin die Moderne ihren Dompteur gefunden hat. Bei aller Traditionsvergessenheit und Fortschrittshörigkeit: Die nötige Tabula rasa und ein unabdingbarer Neuanfang sind nicht möglich, wie es das 20. Jahrhundert auf vielfältigste und grausamste Weise in Kunst, Kultur und Politik (wenn man das dann noch so nennen darf) experimentell nachgewiesen hat. Ein Zurück, gab es noch nie, weder in der Evolution noch in der Kultur(-Evolution). Daher - so haben wir gelernt bekommen - ist ein "Dagegensein" gegen Alles nichts als Zeitverschwendung und für diejenigen, die es propagieren absichtliche Zeitvernichtung.

Die Krux ist: Will man in der Moderne etwas konstruktiv kritisieren, muss man es zugleich lieben. Es hat sich die Weisheit etabliert: Will man etwas so belassen, wie es ist, muss man es verändern. Will man etwas verändern, muss man versuchen es zu bewahren. Die Moderne lehrt uns die Kunst zur "Schizophrenie" als Lebensmotto. Auch wenn manche es noch als krank ansehen. Dank der vermeintlichen Alternative, also im Verblassen des schalen Angebotes dessen, was sich in absolutistischer Anmaßung selbst so nennt, wird man sich mehr und mehr bestehender Qualitäten und Wertigkeiten bewusst; mehr als jede Kritik in fortgesetzter Mängelsuche vormals zu leisten in der Lage war. Mangels besserer Alternative wird man gezwungen sein, sich in den bislang besten aller Möglichkeiten einzurichten und ihre Unzulänglichkeiten - zwar skeptisch, aber doch - zu akzeptieren. Und plötzlich ist da viel Gutes! Danke!

+

 
   
 
  LESEN SIE AUCH  
  »Smart« ist das neue »Spießig«  
  *  
  Jetzt-zeichnen-AG  
  anteil (at) jetzt-zeichnen-ag.de