VORWORT
Eine
soziale Ordnung gilt "von dem Augenblick an [...], wo
zwei Individuen zum ersten Mal etwas gemeinsam getan haben und
sich wechselseitig die Erwartung einstellte, künftig wieder
so zu handeln." Talcott Parsons hat mit diesen Worten
- dem Prinzip der freiwilligen Zustimmung - seine Gesellschaftstheorie
gegen den Vorwurf der Zirkularität verteidigt. "Stadt"
ist in diesem Sinne nichts anderes, als versteinerte Erwartung.
Man kann sie als eine soziale Manifestation, die sich unter
Bedingungen größter Unwahrscheinlichkeit gleicher
Erwartungen unter unzähligen Individuen, als Vermittler
und Medium anbietet. Und sie tut dies recht ordentlich, muss
man annehmen, da immerhin seit mehr als fünftausend Jahren
von Städten die Rede ist.
Man
ist heute gezwungen, die "Verstädterung der Gesellschaft"
als Tatsache hinzunehmen. Man kann sich dann fragen, wie und
mit welcher Strategie, will man sie bewältigen? Da es sich
um ein globales Phänomen handelt, bekommt man es im nächsten
Schritt mit regionalen Unterschieden kultureller, politischer,
wirtschaftlicher und klimatischer Bedingungen zu tun. Eine allgemeine
Strategie müsste alle diese Differenzen berücksichtigen
oder für den jeweils besonderen Fall modifizierbar sein.
Da sollte es hilfreich sein, in Erfahrung zu bringen, wie funktioniert
"die Stadt" eigentlich? Womit hat man es zu tun, wenn
man von Verstädterung oder Urbanismus spricht? Gibt es
eine globale Gemeinsamkeit im Phänomen "Stadt"?
Bisher fragt man an dieser Stelle für gewöhnlich nach
dem Wesen der Stadt, nach dem, was eine Stadt ausmacht. Gegen
die Frage nach dem Wesen muss man Vorbehalte hegen, zumal sie
im Fall der Stadt bislang unbeantwortet bleiben musste. Spätestens
seit dem Bekanntwerden rekursiver Abhängigkeiten in dynamischen
Systemen, muss man ermüden, angesichts einer nicht enden
wollende Litanei von Aspekten, von denen Autoren behaupten,
gerade dies oder jenes mache "die Stadt" aus. Davon
gibt es nachweislich viel zu erzählen und man gewinnt mit
zunehmender Distanz den Eindruck, alle haben sie Recht, weil
sich tatsächlich alle erwähnten Ingredienzien im Städtischen
finden lassen.
"Das
Städtische, indifferent gegenüber jeder ihm eigenen
Differenz", schreibt Henri Lefébvre 1970, um
es jedoch im selben Atemzug wieder zu revidieren, was er - wie
ich denke - zu Unrecht tut, weil genau in dieser Widersprüchlichkeit
das Städtische als Einheit des Unterschiedenen noch am
ehesten zu fassen ist. Als Manifestation der Toleranz gegenüber
dem Andersartigen, dem Fremden, erweist sich die Stadt als bemerkenswert
konstant, indem sie das sich gegenseitig fremde zusammenbringt
und bemerkenswerterweise - ohne die Notwendigkeit von Assimilation
oder auch nur des Konsenses - erhält. In diesem Sinne ist
sie ohne Urteil oder Aversion indifferent gegenüber Differenzen.
Gleich-gültig im besten Sinne.
Im Folgenden geht es nicht um Strategien des Urbanismus, nicht
um die Bewältigung von Problemen, die in der urbanen Praxis
auftreten. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, zu verstehen,
weshalb sich in Gesellschaften Städte überhaupt bilden
und wie sie sich scheinbar selbst generieren und erhalten. Welchen
Aspekt spielt die Stadt in der Evolution von Gesellschaft? Wir
werden sehen, dass wir es nicht mit einem Subjekt-Objekt-Verhältnis
zu tun haben; der Stadt und ihrer Teile. So wie die Gesellschaft
keine umfassende Totalität ist, in der sich, wie in einem
Gefäß, die Geschichte menschlicher Handlungen abspielt,
so ereignen sich die Aktionen des Alltags nicht im Städtischen,
sondern sie "produzieren" gleichermaßen "das
Städtische". Die einzelne Aktion generiert, neben
ihrer eigentlichen Intension, eine Ganzheit, die dann als "Städtisches
der Gesellschaft" bezeichnen kann. Bis schließlich
die "städtische Gesellschaft" im 20. Jahrhundert
die vorangegangene bürgerliche Gesellschaft ablöst.
Das scheint nur auf den ersten Blick paradox, empfand man doch
einst den Bürger als den Ur-Städter. Doch ist "der
Bürger" eigentlich mit der überwundenen stratifizierten
Gesellschaft ebenso verschwunden, wie der Adel und alles andere
Ständebewusstsein auch, das seit der beginnenden Moderne
im Begriff ist obsolet zu werden. Der (Bildungs)-Bürger
hat sich im Zuge seiner Autonomiemotivationen selbst "entlassen".
Die urbane Gesellschaft heute ist eine in Funktionssysteme ausdifferenzierte
Gesellschaft und das Städtische ist immer Begleiter gesellschaftlicher
Diversifizierung gewesen.
Die
Aneignung von Raum und Zeit ist Emanzipation von der "Naturzeit"
und vollzieht sich mit Ausdifferenzierung agrarischer Gesellschaften
mittels Zentrum und Peripherie. Das Abschütteln von Jahresrhythmen
und Witterungsabhängigkeit ist mit Durchsetzung arbeitsteiliger
Produktionsphasen ausdrücklich erlaubt. Die "Verstädterung
der Gesellschaft", wie sie seit den 60er Jahren des letzten
Jahrhunderts diagnostiziert wird, fällt nicht zufällig
in das Jahrhundert von Fordismus und Tailorisierung. Die Entwicklung
der Turing-Maschine und die darauf folgende elektronische Revolution
sollten schließlich in die "City of Bits" münden.
Die städtische Gesellschaft ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts
ebenso Tatsache, wie die funktionsdifferenzierte Gesellschaft
und dabei dürfte es sich nicht um eine zufällige Koinzidenz
handeln.
Die
These lautet, dass die Stadt einzig und allein als ein soziales
Phänomen in seiner Veränderung begreifbar ist, also
nur als Stadt der Gesellschaft plausibel beschreibbar
ist. Die materiale Gestalt der Stadt, wie sie immer mitgedacht
wird und zuallererst ins Auge fällt, ist dabei der Kopplung
des Kommunikationssystems Gesellschaft an die an ihr teilnehmenden,
physisch-psychischen Individuen geschuldet. Es folgt die Gestalt
der Stadt mittelbar den Kommunikationszu-sammenhängen der
Gesellschaft und deren Inventionen gesellschaftlicher Evolution.
Die gegenseitige Abhängigkeit von Kommunikation und Stadt
sticht ins Auge, obgleich sie sich nicht unmittelbar als konkrete
Folge in der Gestalt der Stadt abbildet. Vielmehr entstehen
in Folge von Kommunikationstechniken, Kommunikationsgebrauch
und semantischen Entwicklungen Strukturen in der Gesellschaft,
die ihrerseits materiale Konsequenzen wie "die Stadt"
nach sich ziehen.
Strukturen
der Gesellschaft fallen immer dann besonders ins Bewusstsein,
da sich nachfolgende Kommunikationen daran abzuarbeiten haben.
Einmal entwickelte Institutionen der Gesellschaft wirken rekursiv
und restriktiv auf die Gesellschaft zurück. Aus dieser
Richtung gewinnt dann Planungs- und Gestaltungsoperationen ihr
Profil, nämlich in der Bewältigung von Aufgaben und
Problemen, die immer nur aus schon Bestehendem resultieren können.
In Bezug auf die Stadt treten an dieser Stelle, die Verwaltung
und die Stadtplanung in Aktion. An ihnen - nämlich an deren
(notwendigen) Scheitern - zeigt sich die Restriktivität
gesellschaftlich organisierter Kommunikation. Die Stadt, die
einen bedeutenden Kommunikations-Raum bietet, befindet sich
gleichsam im Schlepptau gesellschaftlicher Veränderungen,
basierend auf dem rekursiven Verhältnis von Kommunikation
und Gesellschaftsstruktur. Sie folgt den strukturellen Veränderungen
und liefert gleichzeitig deren materiale Voraussetzungen. Stadt
stellt sich aus diesem Blickwinkel als eingebunden in die rekursive
Abhängigkeit von Kommunikation und Gesellschaftsstruktur
dar. Die Stadt der Gesellschaft existiert nur durch Kommunikation
und ihre Bedeutung liegt in ihrer Funktion für die Gesellschaft,
als mediale Kopplung für die physichen Körper ihrer
Bewohner.