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Alternative Fakten, was sonst?

von Jürgen Mick

Die Meldung "... am dritten Tage auferstanden von den Toten ..." würde heute mit Sicherheit mit der prompten Unterstellung "It´s Fake News" kommentiert. Doch auch bereits vor zweitausend Jahren dürfte der Ausruf dieser Neuigkeit mindestens zur Provokation alternativer Fakten verführt haben. Darin sehen wir einen Unterschied. "Fake News" bezichtigt eindeutig der Lüge, wohingegen "Alternative Fakten" auf abweichende Sichtweisen verweist.

Wer den Begriff Alternative Fakten schmäht unterstellt, dass Fakten unumstößliche Wahrheiten zum Ausdruck brächten. Und gerade das sollte niemand mehr behaupten! Auch sollten "Alternative Fakten" nicht mit der aktuell kursierenden Beschreibung des "Postfaktischen" in einen Topf geworfen werden. Wenn "postfaktisch" meint, den Emotionen, also dem Bauchgefühl, mehr trauen zu können, als Fakten, und Fakten somit für obsolet erklärt, so stellt der Begriff "Alternative Fakten" Fakten als solche nicht in Abrede, sondern wirft vielmehr die Frage nach der Wahrheit auf. Und beantwortet sie nicht! Alternative Fakten sind also dringlichst zu unterscheiden von der Lüge oder der Übertreibung. Böse der, der das eine durch das andere zu verschleiern sucht.

Alternative Fakten erinnern uns einmal mehr daran, dass Tatsachen immer auch eine Interpretation zu Grund liegt. Fakten sind kommunizierte Sachverhalte, die in Beschreibung und somit in Erzählung gegossen sind. Der eine sagt so, der andere so. Das ist der Ausgangspunkt jeder Kommunikation: der Dissens. Alle wissen, die klassische Zeugenaussage ist eine mit Vorsicht zu genießende vermeintliche Wahrheit. Eine Wahrheit ist eine Beschreibung eines Sachverhaltes, die den jeweiligen Beobachter mitberücksichtigen muss. Das gilt selbst für physikalische Formeln, und seit Heißenberg liegt der Beweis für derartige Relationalität jeder Beobachtung in Form einer Gleichung vor.

Fakten sind beschriebene Sachverhalte, die immer vom Beobachter abhängig sind. Und Kommunikation besteht immer im Austausch alternativer Fakten. Gäbe es kein alternierende Ansichten, worüber sollte man sprechen? Wenn jedem die Welt als der selbige Fakt vorläge, dann wäre die Welt doch bereits im Kältetot erloschen.

Alternativen austauschen zu müssen, ist das Resultat differierender Anschauungen von Welt, innerhalb vollständig voneinander getrennter, physisch-psychischen Systemen (sprich: Gehirnen). Die prinzipielle Unerreichbarkeit des alter ego ist der Anstoß, alternative Fakten "auszutauschen", sprich: zu kommunizieren. Und das liegt daran, weil es höchst unwahrscheinlich ist, dass zwei voneinander getrennte Gehirne ein und dasselbe "denken".

Einfache Antworten brillieren durch Verzicht auf semantischen Reichtum. Eingeschränkte Bedeutungsvielfalt suggeriert dann, Fakten seien alternativlos. Das Insistieren auf Fakten ("it´s true") soll Kommunikation unterbinden, wie auch die unschöne Rede von der Alternativlosigkeit. Alternativlose Faktizität ist eigentlich der Metahinweis jeder Kommunikationsverweigerung. Auf gut bayrisch: "I´ hab´ recht und jetz´ is´ ausg´red´t!"

So nimmt die Trumpsche Administration einerseits ihr Recht auf alternative Fakten in Anspruch, was in meinen Augen ihr gutes Recht ist, würde sie nicht andererseits jede Art der Meinungsvielfalt (der Presse) versuchen zu unterbinden. Ihr Subtext lautet daher auf Besitz der alleinigen Wahrheit. Und das ist der Versuch der Tarnung der Lüge durch die Faktizität von Alternativen. Das ist der eigentliche Skandal, sich zu genehmigen, was man anderen untersagt.

Alternative Fakten heißt eigentlich nur: Wir müssen darüber reden!
Das ist es, was wir endlich wieder lernen sollten, darüber zu reden, anstatt uns vermeintliche Wahrheiten - oder wie sie heute heißen: Fakten - um die Ohren zu hauen! Da befinden wir uns nämlich sofort auf ideologisch vermintem Terrain, wie es die alten Weltreligionen sich seit jeher streitig machen.

Der Anspruch auf Vernunft hingegen besteht darin, gerade alternative Fakten unaufgelöst nebeneinander existieren zu lassen und Anschauungen als solche zu kennzeichnen und anzuerkennen. Das heißt im Wortsinne, Gleichgültigkeit walten zu lassen, unter der Prämisse der Offenheit zum Austausch alternativer Fakten. Der Diskurs, der Streit, der Dissens sind als verbale Auseinandersetzung schließlich zur Basis einer Regierungs- und Staatsform geworden, die ihre Legitimität erstmals nicht auf physischer Gewalt gründet: der Demokratie. Die das Gewaltmonopol zwar für sich beansprucht, aber tunlichst darauf verzichtet, es auszuspielen.

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