Steve
Jobs hat uns verkündet, dass wir nicht geschaffen sind für
ein taktiles Dasein. Dass das Unkörperliche nicht erst im Jenseits
seine Berechtigung finden wird. Ob ihn davon seine adoleszenten Expeditionen
ins Reich indischer Weltbefremdlichkeiten überzeugt haben, sei
dahin gestellt. Er hat uns die Welt als Oberfläche anempfohlen.
Der rollkragenbewehrte Soziophobiker aus Kalifornien hat Berührungsängste
in technoide Unbegreiflichkeit gemünzt; ganz im pekuniären
Sinne. Es scheint geradezu eine Affinität digitaler Medien darin
zu bestehen, dass sich mit ihnen ohne weiteres Defizite sozialer Kompetenz
in massenkompatible Spielzeuge übersetzen lassen. Dass also der
Umgang mit anderen Personen substituiert werden kann, indem man über
eine Grenzfläche hinweg Sozialität antäuscht, ohne
physisch selbst dabei angreifbar zu werden. Mit anderen Worten, man
sollte sich Gedanken machen, ob sich die Digitale Revolution nicht
jenen psychischen Defiziten andient, von denen man einst die Individuen
zu befreien wünschte.
Mit anderen Worten, verstellt eine digital geprägte Reifung die
freie, selbstbestimmte Entfaltung des Einzelnen, indem sie ihm vormacht,
schon so weit zu sein, wie er es werden sollte? Erfährt nicht
stattdessen eine Generation von Duckmäusern und Stubenhockern,
dass sie sich ungestraft zu Großmäulern generieren darf
und sie ihre zivilisatorischen Defizite in vermeintliche Überlegenheit
umdeuten kann? Auch der junge, sozial minderkompetente Zuckerberg
hat seine Unfähigkeit an der Universität mit fremden Mädchen
face-to-face in Kontakt zu treten, kurzerhand in digitale Algorithmen
gegossen und so allen Versagern auf diesem Terrain das Vergnügen
antiseptischer Freundschaftsanfragen beschert. Und ganz nebenbei die
Möglichkeiten geschaffen, hinter den Masken von Kobolden und
Avataren Shitstorms zu entfachen, und dass es nur noch Sekunden
dauert bis unreflektierte Meinungen und purer Hass massenhaft Adressaten
finden, wofür man die Feiglinge früher einfach auf dem Schulhof
hätte in den Schwitzkasten nehmen können.
Hinzu kommt das große Missverständnis in punkto Wissen.
Soll man wirklich Verständnis dafür aufbringen, dass ein
Gros der Smartphone-Junkies das eigene Denken bereits erfolgreich
eingestellt haben? In dieser unserer überkomplexen Zeit, in der
sich keiner auch nur die rudimentärsten Dinge merken will, aus
dem paradoxen Grunde, weil man sich ja nicht alles merken kann!
- Das nannte man früher Selektion. Die Fähigkeit das Wichtige
von Unwichtigem zu unterscheiden. Es ist der erste Schritt zum Wissen.
Damit oft verwechselt wird die Auslagerung von vermeintlichen Fakten
in gehirnfremde Festplatten. Ein Kunstgriff unserer überkomplexen
Zeit, die sich aus Gründen der Überforderung ein Wolkenkuckucksheim
bastelt, das unselektiert den Auswurf von Milliarden Gehirnen aufbewahrt.
Womit man früher - nicht ohne physisches Risiko - nur sein direktes
Umfeld belästigen konnte, das belastet heute mit Fastilliarden
an Terrabyte - ganz physisch - die Umwelt. Wenn man sich einst wenigstens
sicher sein konnte, dass mit dem Hirntod alles vergessen sein würde,
vergiftet uns der digitale Restmüll dauerhaft den Datenorbit.
Halbwertszeiten unbekannt. "Die Woge des zugänglichen
Wissens türmt sich ebenso hoch auf wie die Woge des Geschwätzes",
mit Michel Serres gesprochen.
Aller Oberflächlichkeit Anfang ist der Touchscreen. Und die
Oberfläche ist die Botschaft. Was wir berühren, begreifen
wir. Der etymologische Hintergrund dieser Aussage kommt nicht von
ungefähr. Heute bestätigen Neurowissenschaftler, dass es
sich exakt so verhält. In den ersten Jahren unseres Lebens hängt
das Begreifen vor allem mit dem Zugreifen und Tasten unserer Hände
zusammen. Körperkontakte, räumliche Vorstellung, handwerkliches
Geschick, das Erspüren von Beschaffenheit sind rudimentäre
Kontaktaufnahmen mit der Außenwelt, die für die vollumfängliche
Ausbildung unseres Präfrontallappens nötig sind. Und die
bestehen heute Großteils nur noch aus einer glatten Glasfläche?
Dürftig kompensiert in Erlebnis-Parcours für Therapiepatienten
und in Erlebniskindergärten. Stattdessen fordert man die Einführung
des iPads in Kindergärten. Da lernt man dann, auf die Schnauze
fallen, muss nicht mehr wehtun. Auf Niederlagen folgt einfach der
RESET.
Das Pseudo-Wissen aus dem Wischen verweigert uns einen beträchtlichen
Teil an Erfahrungen, es ist kontaminiert mit globalem Nonsense und
vor allem entkoppelt es das Verstehen vom Haptischen. Bildung ist
auch die Ausbildung unseres Denkapparates und bedeutet dort die maximale
Verknüpfung einer Billion Gehirnzellen. Doch für eine ganze
Generation beschränkt sich alles Taktile auf die unspezifische
Glätte einer Gorillaglasscheibe.
Als wollten wir die Welt nur noch auf Distanz aushalten, ohne uns
die Finger schmutzig zu machen. Wir fahren auf und ab, auf einer widerstandslosen,
nichtssagenden Grenzfläche eines elektromagnetischen Wunschknochens.
Wir bilden uns ein Kälte und Wärme zu fühlen, aber
auch Weichheit bei aller unzerbrechlichen Härte, wir fühlen
die unendliche Ruhe und von Zeit zu Zeit leichtes Vibrieren bei Aufmerksamkeitsanfragen.
Wir rühren, schieben und ziehen und bleiben doch oben auf, außen
vor, obgleich wir meinen einzutauchen.
Was das alles mit Intimrasur zu tun hat? Asimov soll einmal gesagt
haben, wir werden mit Sicherheit nicht von Maschinen beherrscht werden,
weil wir vorher so werden wie die Maschinen. Unsere Erfahrungen ergreifen
Besitz von unserem Habitus. Unsere Reinheit ahmt die der Maschinen
nach. Hat das schwerfällige Hämmern auf Tasten noch Widerstand
akzeptiert und jeder Druckknopf sie noch eingefordert, bleibt abgelöst
von abweisender Glätte alle Griffigkeit gleichsam unbeantwortet.
Die Haltlosigkeit will nicht berühren, anrühren oder aufrühren,
sie zielt ab auf die gleiche Gültigkeit aller noch so verschiedenen
Ereignisse. Eingeschlossen der eigenen Existenz, die sich in letzter
Konsequenz selbst nur als Code verstehen darf.
Auf dem perfekten Nährboden "Konsumgesellschaft"
platziert, die sich laut Zygmunt Baumann gerade durch "das
Verwischen und letztlich die Beseitigung" der Unterscheidung
von Konsumenten und Konsumgut definiert, bewirkte der Touchscreen
die Kernschmelze von Ware und Konsument, von Subjekt und Objekt. Verwischt
die Grenzen zwischen dem Wahrnehmen und dem Benutzen, dem Aneignen
und Verwerfen, dem Erzeugen und Verbrauchen. Sind wir die Nachfrage
oder das Angebot? Wisch, das Nächste!
Unter Marktgesichtspunkten erzwingt die Steigerung der Kompatibilität
von potentiellen Geschlechtspartnern seit jeher Assimilation in Kommunikationsverhalten
und Körpergestaltung. Alter Ego mutiert traditionell in Paarungszeiten
zum massenkompatiblen Bestseller. Die Homogenisierung aller Oberflächen
zum Touchscreen macht uns alles zur selben Erfahrung, was wir im besten
Fall auf den Geschlechtsverkehr ungestört übertragen können.
So vermeidet man in heiklen Momenten Irritationen, die den Paarungserfolg
gefährden. Haptische Konformität steigert die Kompatibilität.
Wie der Computer allgemein dazu befähigt, alle Tätigkeiten
mit denselben Körperbewegungen zu bewerkstelligen, so ist der
Touchscreen dabei autosuggestiv das strikteste Körperideal aller
Zeiten zu generieren. Man könnte es antiseptisch bezeichnen.
Von der Vorfreude, die sich in Schambehaarung andeutet, ist da bereits
eine ganze Generation entwöhnt.
By the way: Unter dem Stichwort "Digitale Demenz"
wird derweil diskutiert, welche Wirkungen der massive, frühkindliche
Gebrauch digitaler Medien zeitigen wird. Man geht davon aus, dass
Gehirne von in früher Kindheit massenmedial geprägten Erwachsenen,
mit dem Risiko leben müssen, dass der als Alzheimer bekannte
Verfallsprozess des Gehirns bei diesen ungleich rascher zu bemerkbaren
Resultaten führen wird.
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