Funktion
statt Identität
Funktion und
Stadtidentität
von Jürgen
Mick
Ohne
die Teilnahme an den Funktionssystemen mittels Geld, Macht, Technik,
Bildung, Liebe und Religion wird man heute nicht länger existieren
können, will man nicht ernsthaft mit Jagdgewehr und Falle hinaus
ins Land, um in Erdlöchern eine Goldader auszubeuten; und selbst
dann wäre ein Markt für Gold die Voraussetzung. Globalisierung
auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht heißt vor allem
eines: Aussteigen ist nicht mehr möglich.
Die Stadt ist kein Wirtschaftunternehmen
Zwangsläufig fürchtet man um Originalität und Authentizität.
Um die Sache nicht der Willkür zu überlassen bedient man
sich eines Instrumentariums der Vergleichbarkeit. Evaluierung, Ranking
und Casting sind die Stichworte und der Laie staunt nicht schlecht,
sie lassen sich auch auf Institutionen anwenden. Kultur wird quantifizierbar,
Innovation messbar, ebenso wie Intelligenz, Zufriedenheit und Glück
! Und Urbanität.
So entgleist die Suche nach der lokalen Identität befördert
durch offiziell organisierte Anreize nicht selten zur sentimentalen
Lächerlichkeit oder zur Orgie narzisstischer Hausherren und Baumeister.
Museale Instinkte werden befriedigt und hemmungslos der Nostalgie
gefrönt. Das Retro-Phänomen steht heute nicht zuletzt mangels
attraktiver Utopien so hoch im Kurs. Historischer Exhibitionismus
und kulturelle Prostitution gehen Hand in Hand. Es geht nur mehr darum
den eigenen Marktwert zu steigern. Die Vermutung wir haben es hierbei
mit Reaktionen auf das Echo einer vollständig expandierten Globalisierungswelle
zu tun, das uns als globaler Provinzialismus entgegenschallt, bewahrheitet
sich in abschreckender Weise. Lokale Identität wird aus immunitätsstrategischen
Gründen (Sloterdijk 1999) zum Herausstellungsmerkmal eines Ortes
erarbeitet, während zur selben Zeit Eventeruptionen versuchen
das Label dauerhaft in den Hirnen der Konsumenten zu verankern. Logos
gereichen in einer warenfaschistoiden Zeit vielen Orientierungslosen
als temporärer Geborgenheitsstimulus, hinterlassen aber nach
Überschreiten des Verfallsdatums bei den Konsumjunkies nichts
als Entzugserscheinungen.
Verhandeln
wir bei so verstandener Identität der Stadt nicht ein Luxusproblem
in Agonie gefallener Steuerabhängiger? Wenn man denn endlich
übereinkäme, dass eine Stadt kein Wirtschaftunternehmen
ist, könnte man vielleicht die Schlacht der Eigenwerbung mit
dem Banner der Identität geflissentlich als einen Punkt der Selbstdarstellung
verbuchen und es wäre viel Raum gewonnen für die eigentlichen
Aufgaben.
Wenn
der Begriff Identität in Bezug auf Dinge überhaupt Sinn
macht, dann in der Bedeutung der Aufrechterhaltung einer Einheit über
einen Zeitraum ständigen Wandels hinweg. Naturgemäß
zeigen lokale und historische Daten einer Ansiedlung Veränderungen
an. Wie kommt es aber, dass wir die Stadt als "Stadt" bezeichnen
und im Einzelfall eben über Jahrhunderte hinweg? Die Suche nach
der Identität der Stadt wird erst fruchtbar, wenn sie sich der
Frage stellt, wie funktioniert die Stadt?
Stadt als Medium
Rechnet man der Stadt durch die Potenzierung von Möglichkeiten,
die Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen zu Gute,
liegt der Schluss nahe, dass die Stadt die Ausdifferenzierung der
Gesellschaftssysteme geradezu befördert hat. Der vertrauensvolle
Umlauf von Geld ereignete sich mit Sicherheit in derartigem Mikroklima
hemmungsloser als in den unübersichtlichen Weiten Asiatischer
Steppen oder der dunklen Undurchdringlichkeit Europäischer Wälder.
Man setzt darauf, dass das Geld auch von Dritten problemlos als Tauschobjekt
akzeptiert wird. Die Institution Stadt beförderte diese vermeintlich
undenkbaren Konstellationen durch ihre Konzeption als Zufallsgenerator
freier, unkontrollierter Kommunikation unter anwesenden Fremden. Auf
diese Weise werden die bis zur Schmerz- und Ekelgrenze verdichteten
Ballungsräume dennoch zum gesellschaftlichen Katalysator, der
vor allem Freiheit, Unvoreingenommenheit, Toleranz und Wagemut belohnt.
Systemtheoretisch formuliert - so die These - könnte es von Nutzen
sein die Stadt als Medium zu begreifen. Die Stadt findet dann ihre
Position genau an der Schnittstelle zwischen Mensch und Gesellschaft.
als das in den Blick treten eines Mediums in seiner Funktion für
die Gesellschaft.
Die
vollständige Fassung dieses Aufsatzes ist erschienen unter dem
Titel:
"Wir werden Cityzens!"
in Hilber/Datko/Hofer (Hrsg.), Stadtidentität der Zukunft
- Wie uns Städte glücklich machen, Berlin 2012