Smart
City
Der Code der Stadt
von
Jürgen Mick
FK Network verwaltet in Shanghai die Daten von 60 Tausend Einwohnern
eines Stadtteils. Dabei handelt es sich um Daten über deren Gesundheit,
deren Anwesenheit zu Hause, deren Tätigkeiten in Beruf und Freizeit.
Die Spielplätze der Kinder sind über serienmäßig
installierte Monitore von der Wohnung aus überwachbar. Ihr Zuhause
ist via Internet mit der zuständigen Krankenstationen verbunden.
Der Zutritt in ihre Wohnung wird über die gleiche Chipkarte ermöglicht,
auf der auch ihr regelmäßiger Gesundheitscheck gespeichert
wird. So werden Praxisbesuche eingespart. Man konsultiert via Bildschirm
seinen Arzt und über ein angeschlossenes Labor werden zeitnah die
Befunde aller untersuchten Körperfunktionen geliefert. Das Ziel
ist klar: FK Network ist bestrebt diese Dienstleistung auf Millionen
weiterer Stadtbewohner Shanghais auszudehnen. Asien ist Vorreiter in
Sachen Smart Cities. Was in westlichen Augen an Überwachung
grenzt, wird in Asien als Dienstleistung empfunden und unter dem Etikett
der Vorsorge und der Sicherheit an die Bürger gebracht und dankend
angenommen; von den meisten.
Aber auch in London wird bereits den Nutzern bestimmter Smartphone-Apps
die Wahrscheinlichkeit eines Sitzplatzes in der U-Bahn mitgeteilt, was
nur möglich ist, weil sensorisch sämtliche physischen Bewegungen
in der Underground registriert und in Echtzeit verrechnet werden.
So prognostiziert man Verkehrsströme, die man gleichzeitig durch
die Prognose selbst manipuliert, was zu einem sich selbstregulierendem
Verkehrsaufkommen führt. Ähnlich dem Regelkreislaufes einer
mit Thermostat gesteuerten Heizanlage, reguliert sich durch die Verkehrsteilnehmer
das, was sie selbst verursachen. Dank der sensorischen Datenerhebung
gelingt es, mittels kybernetischer Verknüpfung in Echtzeit kompensatorische
Maßnahmen einzuleiten und somit Stoßzeiten abzudämpfen.
Smart City funktioniert vor allem durch die Teilnehmer an smarten
Systemen. Smart City basiert einerseits auf der Erhebung
von Daten, die sich (unbemerkt) aus der elektronischen Kommunikation
abzweigen lassen, wie sie in Navigationsgeräten und Smartphones
anfallen und andererseits aus sensorischen Datenerhebung, die sowohl
physisch, optisch und thermisch dem Öffentlichen Raum entnommen
werden. Aber auch zum Teil auf Daten, die bereitwillig aus der Privatsphäre
und dem Intimbereich zur Verfügung gestellt werden.
Jeder Einzelne stellt mittels einer ihm eignen "Zweiten Sensorik"
- neben der ersten physischen -, bestehend aus elektronisch vernetzten
technischen Geräten, eine dezentrale Schnittstelle im Verbund von
Datennetzwerken dar. Unterstütz und ergänzt werden diese Daten
von im Stadtraum implementierten Sensoren, wie Kameras, Fühlern
und Tastern. Der Cityzen ist dabei zugleich Ausgangsobjekt und Konsument
eines Regelkreislaufes. Die Smart City könnte man auch als
eine Stadt in der Stadt bezeichnen. Man wird dort Teil einer elektronischen
Simulation von Verhalten aller Städter in Echtzeit. Computerunterstützt
kann in einer virtuellen Realität Massenverhalten prognostiziert
werden und mittels simultaner Informationsdistribution ein Regelkreislauf
zur Stabilisierung desselben aufgebaut werden. Die Rechnerzentralen
bewerkstelligen die Verwaltungsorganisation von Verhaltensmuster ihrer
zugeordneten Einwohner. Wir haben es mit einem virtuellen Kommunikationszusammenhang
zu tun, der sich der üblichen Kommunikationen in der Stadt (durch
Interaktionen) an die Seite stellt. Smart City bedeutet eine
Erweiterung der Stadt um audiovisuelle und elektromagnetische Sensorik.
Stadt als Zusammenleben bildet sich darin als Code ab.
Wie wir mit dem Abbild der Stadt als elektromagnetisch codierte Simulation,
als Szenario von Massenverhalten operieren, ist zuerst einmal Neuland.
Und für jede Art der Manipulation offen. Regelkreisläufe sind
grundsätzlich manipulierbar. Und Desperados finden sich bereits
vor Ort. Beim Umbau zur Smart City handelt es sich um eine Infrastrukturerweiterung
auf Basis einer sensorischen Erweiterung physischer Eigenschaften ihrer
Bewohner. Und das um eine Steigerung in unvorstellbare Dimensionen.
Die Erfassung des Geschehens einer Stadt kommt der Implantation eines
Kommunikationsnetzwerkes in die "alte" Stadt und damit einer
somatischen Entfunktionalisierung ihrer Einwohner gleich. Wenn man davon
ausgeht, dass die Stadt als Medium der Gesellschaft seit jeher als Kommunikationskatalysator
fungiert, indem sie Kommunikation wahrscheinlicher macht, so kann man
die Entwicklung hin zur Smart City nun unter zwei Gesichtspunkten
extrapolieren, einen materiellen und einen gesellschaftlichen. Und es
sei betont, dass hierauf - wie wir schon gesehen haben - weit mehr Akteure,
als nur die Verantwortlichen des Stadtmanagements Einfluss nehmen, nämlich
mittlerweile ist auch jeder, der ein Smartphone besitzt Teil des Codes.
Materielle Dimension
Zum einen lässt sich diskutieren, wie plausibel eine solche Umstrukturierung,
angesichts der Folgen, die sie auf materieller Ebene nach sich ziehen
wird, sein kann. Im Falle eines Falles kann man in Shanghai damit rechnen,
dass die Polizei sich nach dem persönlichen Wohl eines jeden Einwohners
erkundigt, wenn sich von diesem über einen bestimmten Zeitraum
kein Bewegungsprofil nachweisen lässt. Der Fahrraddieb wird zuverlässig
ermittelt über ein flächendeckend visuelles Überwachungsnetz,
inklusive dazugehöriger Identifikationssoftware. Die computerunterstütze
Einwohnerverwaltung, bestehend aus Echtzeitregistrierung (24 Stunden
/ 7 Tage die Woche), Verhaltensprognose und Abweichungsalarmierung.
Es geht wesentlich um Sicherheit und Gesundheit und dazu - so macht
man Glauben - ist eine Maximierung der Translation von Bio-Daten in
Social-Behaviour-Erwartungen anzustreben. Dabei stützt man sich
auf die Tatsache, dass alles messbar ist, was der Körper an Sensoren
weitergibt. Daraus errechnet sich ein Profil, das aber nur etwas aussagt,
wenn man es mit einer Standard-Vorlage abgleichen kann. Das bezieht
sich auf Bewegungsmuster genauso wie auf Verbrauchermuster. Soziale
Kommunikation lässt sich dadurch einsparen, sei es im Bedürfnissektor
oder in den Bewegungsmodi. Pflege und Konsum lässt sich auf diese
Weise rationalisieren. Das macht die Smart City in den Augen
der Verwaltung effizienter und rationeller. Sie bewerkstelligt höhere
Kapazität, was die Versorgung und die Organisation von Bürgern
betrifft.
Smarte
Systeme sind mit großer Infrastruktur verbunden. Der Einwohner
ist üblicherweise sensorisch strukturell damit gekoppelt. Die Kosten
für die Kommunikation müssen eingespielt werden. Bislang gibt
es offiziell zwei Wege Konsum und Steuer. Also im Wesentlichen die freiwillige
und die "unfreiwillige" Abgabe. Beide Fälle setzen Besitz
voraus. Ein Einsatz der nötig wird um im Spiel der Gesellschaft
mitagieren zu können. Und wer nichts hat? Entweder er verzichtet
auf Teilnahme oder er "bezahlt" mit Bio-Daten. Denn er hat
zumindest seinen Körper. Und es wird ihm nichts anderes übrigbleiben,
als diesen in die Waagschale zu werfen. Die einzige Chance, die ihm
bleibt, ist seinen Körper zu "verpfänden", und dadurch
Teilnahme zu "erkaufen". Sein Körper wird zum Pfand.
Man kennt das Prinzip, solange es Städte gibt. Die Prostitution
ist in der Stadt zu Hause. Und jede Form von Leidensfähigkeit ist
einsetzbar für die informelle "Anwesenheitserlaubnis".
Das betrifft auch bislang alle Bereiche der Kriminalisierung. Wer nichts
hat, kann dort seinen Körper ins Spiel bringen; und ihn nirgendwo
besser ausbeuten, als in der Stadt, das war schon immer so, und auch
das wird die Stadt sein, die sich "smart" nennt. Mit dem Unterschied,
dass die Ausbeutung des Körpers sich plötzlich auf ein Milliardenfach
größeres Heer von Probanten ausdehnt. Sozusagen jeder Einwohner
ist körperlich nicht mehr nur anwesend, sondern physisch kommerzialisiert,
quasi vorbeugend in Beschlag genommen. Das Netz der Daten speist sich
durch Bio-Daten. Es entstehen Myriaden von Repliken der Körper,
die einfließt und im Netz in einer Körperdaten-Datenbank
zu einem virtuellen Massenkörper verschmelzen. Dieser ist statistisch
verhandelbar und dank der Computerkapazitäten prognostizierbar.
Sicherheit und Versorgung sind die primären Veranlassungen für
die Implementierung von Sensorik im Stadtraum. Die Stadt der Zukunft
bemüht sich - zu Recht -, um die maximale Inklusion ihrer Einwohner
in die Funktionssysteme der Gesellschaft. Das basiert in der Smart
City im Wesentlichen auf der Tatsache, dass sich die generalisierten
Kommunikationsmedien der Funktionssystem (Geld, Wissen, usw.) erstaunlich
kompatibel mit der Komputation von Daten erweist. Die binäre Struktur
von Kommunikationsmedien, die über Inklusion und Exklusion entscheiden,
finden ihre logische Entsprechung eben auch im Code von Computersystemen
und so im Code der Stadt. So wie die Erfindung der Münzen "den
Handels-Weg" verkürzte, versprechen uns heute die Sensoren,
eine weitere Option zum kommunikativen "Kurzschluss". Die
Stadt ist traditionell der physisch dichtest besiedelte Ort, was eine
optimale wissenschaftliche und wirtschaftliche Voraussetzung für
die Datenerhebung darstellt. Die Große Zahl der Stadt liefert
die perfekte Grundlage um statistische Systeme und Prognosen auf eine
relevante Ebene zu heben.
Die Größe der Zahl entscheidet über die akzeptable
Treffsicherheit der Systeme und über deren Rentabilität. Bauliche
Veränderung, Instandhaltungsaufwendungen, Verwaltungskosten und
Betreuungsaufwand werden sich nachhaltig in ein Kosten-Nutzen-Kalkül
einbinden lassen müssen. Die Frage wird sein, welche Städte
sich dies leisten wollen und ob eine Gesellschaft in der Lage sein wird,
die im Laufe der Zeit auftretenden Kosten, Asynchronitäten und
Verteilungsungerechtigkeiten abzuarbeiten. Zwangsläufig wird dieser
Prozess Städte generieren, deren Verfassung zwischen den zwei Polen
mit und ohne technische Erweiterung changieren wird. Dies wird sich
vor allem an der Größe der Stadt festmachen lassen. Jedenfalls
könnten wir es - mit der Smart City - mit einer neuen Art
von Stadt zutun bekommen. Einem Medium der Gesellschaft ganz neuer Art
nämlich, in das man ganz bewusst wird eintreten können, indem
man registriert wird und aus dem man - um es freundlich zu formulieren
- auch wieder entlassen werden kann. So kommt durch die materielle Seite
eine neuartige Unterscheidung hinzu, die ähnlich der alten Unterscheidungen
von Stadt/Land und Zentrum/Peripherie fungieren könnte. Zu den
materialen Schwierigkeiten wird schon heute reichlich Material an Lösungsvorschlägen
aufgetischt, aber diese werden keinesfalls von allen gleichzeitig bewältigen
werden können, wodurch ganz abgesehen von der Akzeptanz ein Unterschied
generiert werden wird. Wie lange man im herkömmlichen Sinne noch
von "Stadt" sprechen kann, wird zur Disposition zu stellen
sein; man wird vielleicht feststellen, dass es sich eher um gewaltige
Gated Communities handeln wird. Ob wir es letztlich mit neuartigen
"Wohn-Formen" neben der Stadt zu tun bekommen, wird sich maßgeblich
über die Funktion der Smart City für die Gesellschaft
festmachen lassen.
Soziale Dimension
Weil auch auf die Smart Cities letztlich das Problem einer jeden
Stadt zukommt. Erst wenn es nicht mehr gelingt den physischen Raum kosten-
und machtfrei zu halten, und obendrein jedermann Zugang zu den Systemen
der Gesellschaft zu gewähren, werden sie ihren Status verspielen.
Veränderungen und Einflüsse des digitalen Umbaus muss man
deshalb vordringlich auf die Funktion der Stadt als Stadt der Gesellschaft
anrechnen, also ihren Einfluss auf das interaktive Verhalten dortiger
Einwohner. Wir können davon ausgehen, dass die auf Interaktion
basierende Kommunikation unter Anwesenden maßgeblich transformiert
werden wird. Hierbei geht es um nichts weniger als die Manipulation
gesellschaftskonstituierender Bedingungen und somit um die Funktion
der Stadt im Speziellen. Mit anderen Worten, kann man hier auch die
Frage nach dem Obsoletwerden der Stadt durch die Smart City stellen.
Unterminiert die Smart City also die Funktion der Stadt?
Die
Bedeutung der Stadträume für die Gesellschaft bekommt Konkurrenz
von digitalen Systemen. Weil die Urbanität eine Qualität des
Körperlichen vertritt sind urbane Räume bis dato die Anwälte
des Möglichen, jenseits von Besitz. Die Folgen des Besitzes sind
im Wesentlichen Differenzierung. Immer wenn wir Räume kreieren,
zu deren Zugang Besitz Voraussetzung ist, erreichen wir Separierung
und Segregation. Die physische Anwesenheit des Körpers in der Stadt,
ist in ihrer Bedeutung für die Kommunikation ein weiteres Mal geschwächt.
Die Komponente von Anwesenheit unter Kommunikationspartnern wird reduziert,
weil in Systemen mehr Wissen über diesen Körper vorliegt,
als er selbst zu signalisieren im Stande ist. Wir eliminieren damit
den Zufall von Interaktion unter Anwesenden und unterlaufen das, was
Luhmann die doppelte Kontingenz nennt. Jeder hat schon vor dem Zusammentreffen
mit einem Unbekannten den Gesprächspartner gegoogelt. Die Frage,
die Luhmann schon 1997 in den Vordergrund rückte ist, "wie
weit Computer die gesellschaftskonstituierende Leistung der Kommunikation
ersetzen oder überbieten können."(1,303) Auf der
urbanen Bühne, so können wir heute beobachten, ist mit der
Smart City eine Dimension erreicht, die unschwer erkennen lässt,
dass Zuverlässigkeit und Vertrauen (2) von Personen abgezogen wird.
Mit der Ausweitung der digitalen Verbreitungsmedien, computergestützter
Kommunikation auf die Eben der Stadt wird eindrücklich klar, wie
die Struktur von Oberfläche und Tiefe, Bildschirm und Maschine
Einfluss sowohl auf die psychischen, als auch auf die sozialen Systeme
bekommt. (1,304ff) Die entscheidende Veränderung, die die strukturelle
Kopplung von Computern an Bewusstseinssysteme, wie auch an Funktionssysteme
der Gesellschaft mit sich bringt, besteht darin, dass von Körpern
(physischen Systemen) auf Interfaces (Screens) umgestellt wird. Informationen,
die ihre Bewegung und ihre Kommunikation strukturieren lesen sie von
Oberflächen ab, ohne die Maschine im "Dunkel" zu kennen.
Verhalten konstituiert sich aus Informationen auf Bildschirmen einer
"Black Box", so nebenbei, wie sie einst auf der Lesbarkeit
der Körper basierte.
Nicht unterschlagen darf man, dass wir ein solches Prozedere bereits
einmal durchlebt haben, und daher die Folgen kennen. Schon die schriftliche
Kommunikation via Buch und Flugschriften hatte die Eigenschaft Kommunikation
von Körpern, Raum und Zeit abzuziehen. Wie wir wissen, haben Bücher
die Gesellschaft dahingehend fundamental verwandelt. Die ihnen zugrunde
liegende Schrift gehorcht neu entwickelten Regeln und eröffnet
der Kommunikation unabsehbare Kombinationsmöglichkeiten jenseits
der bis dato üblichen face-to-face-Erzählung. Schon
Bücher ziehen die Kommunikation als Differenz von Information und
Mitteilung zeitlich auseinander. Der Zusammenhang von Mitteilung und
Verstehen wird raumzeitlich entkoppelt, jedoch die Absicht der Mitteilung
bleibt aufrechterhalten. Bücher beinhalten im besten Falle absichtsvolle
Information.
Der wesentliche Unterschied dazu: Computerunterstütze Kommunikation
transformiert Daten, es handelt sich vor allem um ein neuartiges Medium,
weil es den Umgang mit Information revolutioniert, indem es sich aus
den Ereignissen "Eingeben" und "Entnehmen" jeweils
neu konstituiert. Das heißt, die Absicht des Eingebenden unkenntlich
macht. Erst zusammen aus "absichtsloser Eingabe" von Daten,
und einer Suchanfrage ("absichtsvolle Entnahme") wird Information
kreiert. Die Verarbeitung der Daten durch Programme macht eine Entkopplung
von der Quelle entbehrlich. Es "entfällt die Möglichkeit,
die Absicht einer Mitteilung zu erkennen"(1,309) . Mit den
Worten Luhmanns gesprochen heißt das, Computer treiben die "soziale
Entkopplung des medialen Substrats der Kommunikation ins Extrem"(1,309)
. Mit anderen Worten "kann der Computer auch die Sachdimension
des Sinns der Kommunikation in die Entkopplung einbeziehen."(1,310)
Begreift man Information als aus Umweltdaten extrahierten Sinn, wird
Sinn abhängig von der extrahierenden Instanz. Absichtsvolle Information
kreiert sich durch den Entnehmenden. Die augenfällige Leistungsfähigkeit
von Computern in Bezug auf Datenverarbeitung befreit Computer weitestgehend
von der Notwendigkeit der Selektion von Information, auf die Menschen
angewiesen sind. Es ist für Computer nicht nötig zu entscheiden,
was erfasst oder gespeichert werden soll. Datenbanken sind dann: Ohne
jede Information gespeicherte "Realität" für den
Entnehmenden. Und es bleibt immer zu beachten: Der Entnehmende verfasst
die Information im Augenblick der Entnahme!
Future, Future
Was bedeutet es, wenn man sich mit der Smart City der Situation
annähert alles, was Sensoren in der Lage sind zu registrieren,
in digitale Daten zu verwandeln zu können? Für die Kommunikation
heißt es, nahezu alles wird kommunizierbar. Die Datendichte ist
unermesslich und übersteigt jede menschliche Dimension. Sie kann
jede Veränderung materialer Art und jede physische Bewegung aufzeichnen
um sie als digitales Double für einen späteren Abruf-Zeitpunkt
zu bewahren; jenen eigentlichen Zeitpunkt der Informationsgenerierung.
Wohlgemerkt es handelt sich um Daten, die im wahrsten Sinne des Wortes
"sinnlos" sind, oder besser "sinnfrei". Die Information
steckt nicht in den Daten, sie entbehren jeder Information. Der Sinn,
der ihnen entnommen werden kann, wird dann entstehen durch die Verarbeitung
mittels Algorithmen, die von Nutzern auf sie angesetzt werden. Die Programme
generieren die Information, sonst ist niemand mehr in der Lage dazu.
Realität wird entstehen, aus dem Datenpool und nicht mehr aus einer
physisch erlebbaren Umwelt. Der Abruf von Daten generiert die Information
aus einem mehr oder weniger vollständigen Pool, weil Algorithmen
eine Selektion in G ang setzt, die im Sinne eines wie auch immer gearteten
Nutzers operiert. Es folgt nicht mehr notwendig ein Verstehen des Gegebenen,
wie in jeder Form bisheriger Kommunikation. Es gibt nichts zu verstehen,
weil keine Information vorliegt, sondern es gilt die Sensordaten unseres
selbstgesponnen Kokons zu interpretieren, im Glauben zu rekonstruieren,
was gewesen sein könnte. Wir werden gewesen sein, was auch immer
wir/sie wollen.
Wir als kognitive Systeme kommen dennoch nicht umhin zu verstehen, so
wie wir auch in einer sinnfreien Umwelt nicht zu leben in der Lage sind.
Wir sind gezwungen zu Verstehendes aus dem Pool zu selektieren. Nie
ward handgreiflicher deutlich, was man konstruktivistischen Positivismus
nennen könnte: Wir verstehen die Welt, wie wir sie sehen! Wir benutzen
externe Programme zur Selektion um Fakten herzustellen. Wir erbauen
unter anderem mit "Smart Cities" Realitätsfabrikationen,
auf denen wir unser Handeln gründen werden. Ihre Macht besteht
dann darin, was sie uns bereitwillig als Tatsache kommunizieren: eine
Realität (von unendlich vielen möglichen). Die Mächtigkeit
dieser Systeme liegt in der Manipulation einer generierten Welt. Es
ist überflüssig sich Gedanken zu machen, über die Gefahr,
die von intelligenten Systemen ausgeht, die sich uns irgendwann Untertan
machen. Die Macht, über die sie verfügen ist die Macht über
die Realität, ohne die wir Menschen nicht auskommen und die sie
uns nicht vorenthalten werden. Im Gegenteil: Die Emergenz von neuen
technoiden Herrschaftsformen könnte darin bestehen, dass sie uns
immer sagen, was wir hören wollen.
Wir "sehen" nicht mehr unmittelbar mit unserem körpereigenen
sensorischen System, um mit unserem psychischen System Sinn zu generieren.
Weil wir längst davon ausgehen, dass Computer umfassendere Datenmengen
bewältigen können. Der Computer ist ein externer Filter, den
wir als Sinngenerator bereits dankend angenommen haben, weil er über
eine "Daten-Welt" in Echtzeit verfügt und sie uns generös
bereithält und der wir zu jeder Zeit eine selektive Eigenwelt zu
entnehmen in der Lage sind. Das geschickte daran ist, es funktioniert
wie die Sprache, sowohl in der individualisierten, als auch in der sozialen
Sachdimension. Die Schrift und im Speziellen das Buch generierten eine
funktionsdifferenzierte Spezialisten-Organisation von Wissen. Der Computer
eröffnet der Kommunikation eine übergreifende Wissensorganisation,
die wie Luhmann sagte jeder "Autorität der Quelle"
entbehrt und Urheberschaft durch "Unbekanntheit der Quelle"(1,309)
ersetzt.
Sicherheit und Risiko
Wir denken via Computerprogramme, wie wir mittels Büchern sehen.
Wir haben die bislang denkbar größte Virtualitätsmaschine
geschaffen, an den wir unsere Körper strukturell koppeln können.
Der Rest ist nur noch Schnittstellenproblematik. Die visuelle Kopplung
via Zeichen und Bilder ist zur Zeit noch die stärkste Form, aber
an jedweder neuronalen Implantation wird gearbeitet. Was geschieht mit
der Stadt, wenn wir beginnen unsere Umwelt den Screens zu entnehmen?
Die Smart City ist darum bemüht Informationen zu generieren
über die makro-physischen Zustände von Bewohneraggregaten.
Zum einen über Ereignisse, die sich im Raum der Stadt ereignen.
Zum anderen über Mikrodaten, Sensorereignisse die unmittelbar die
Köperfunktionen des Einzelnen in eine Datentabelle überführen.
Einmal will man Massenphänomene rekonstruieren, wie Verkehrsfluss
und Kriminalität, zum anderen will man Lebensbedingungen für
Menschen regulieren, kontrollieren oder auch manipulieren. Sei es indem
man Service der Vorhersage von Stoßzeiten in der Londoner U-Bahn
bietet, die Kriminalitätsbrennpunkte deutlich markiert oder massenweise
Vorhersagen über Gesundheits- und Lebensfunktionen verteilt. All
diese Informationen erscheinen auf den diversen Oberflächen der
Smart City, mit denen sie omnipotent bestückt ist. Zu denen
zählen die Smartphones ihrer Bewohner, die Gegensprechanlagen ihrer
Gated Communities und auch die unüberschaubaren Bildschirmwände
der Kontrollzentralen der jeweils zuständigen Sicherheitsorganisationen,
städtischer, privater oder staatlicher Provenienz.
Wenn seit dem Ende des 19. Jahrhundert in einer ersten Phase die Massenkommunikationsmedien
Öffentlichkeit aus der Stadt absaugten, ließen sie die individuelle
Bewegung der Körper in den Straßen zurück, das, was
Luhmann "Mikrodiversität" bezeichnet, das "massenhafte
interaktive Geschehen"(3,196) unter Anwesenden. Dann wohnen
wir mit der Überformung des urbanen Geschehens mit digitaler Datenerhebung
und der Smart City einer zweiten Phase der Reintegration physischer
Restbestände in die Gesellschaftssysteme bei. Computersysteme erlauben
es auf Grund ihrer für menschliche Dimensionen unermesslichen Effektivität
ihrer Daten-Sammlung/Speicherung/Auswertung in Echtzeit, aber auch zu
jeder Unzeit Mikrodiversität aufzugreifen und in Szenarien umzudeuten.
Predicitve Policing
München: Die diversen Farben der markierten Sektoren symbolisieren
die aktuell vorherrschende Kriminalitätswahrscheinlichkeit.
Szenarien können beispielsweise als grafische
Darstellungen von Verbrechenswahrscheinlichkeit (Predictive Policing)
vorliegen, ebenso wie als Ansagen über das Echtzeit-Verkehrsaufkommen
auf Straßen. Das Ablesen von strafrechtlich bedenklichem Verhalten
wird ebenso, wie das gesteigerte Automobilaufkommen weder in erster
Instanz im psychischen System registriert, noch durch sinnhafte Kommunikation
vermittelt, sondern mittels Algorithmen synthetisiert und auf einem
Bildschirm des virtuellen Gegenübers, der ohne zu wissen, wie die
Information generiert wird, glaubt Realität abzulesen. Dabei ersetzt
die Oberfläche der Screens sowohl die Kommunikation unter Anwesenden
als auch die der Massenmedien.
Der Operateur mit dem es die Bewohner zu tun bekommen, ist für
die Bewohner die "Black Box". Ein Gegenüber, von dem
man nicht weiß, was er weiß und wie er urteilt. Ein Gegenüber
unvorstellbarer Tiefe an Raum und Zeit, da ihm nahezu alles für
immer zur Verfügung steht, um jederzeit Information zu generieren.
Das wird juristische Probleme nachsichziehen, allein weil niemand mehr
in der Lage ist, zu sagen, wie die Information generiert wurde, auf
Basis derer Urteile gefällt wurden. Auch wenn man möglicherweise
die Datenpools und die Sensorquellen noch angeben kann, gedacht, sprich
selektiert und sinnprozessiert, hat sie kein Individuum, sondern ein
opakes, geschlossenes System aus Sensoren, Speichern und Oberflächen.
Der Manipulationsverdacht besteht dabei nur als ein theoretisch zu wissender,
und bleibt als die andere Seite der Form erst einmal unsichtbar. Wir
sehen die Welt, die uns die Oberflächen der Computersysteme generieren,
in zunehmendem Unwissen über deren Prozessierung, über die
sich nur sagen lässt, dass sie außerhalb unserer psychischen
Systeme stattfindet. Die Übersetzung von Mikrodiversität in
grafische Oberflächen, ersetzt uns in der Smart City sukzessive
die unmittelbare Umgebung. Während Massenmedien uns noch die unmittelbare
Umwelt als interaktionsraum überließ, wäre man dann
in der Lage mittels computerunterstützter Datenpower auch die physischen
Restpartikel der face-to-face-Kommunikation zu erhaschen und
den Zufall der physischen Begegnung, - der für die Stadt einst
den gesellschaftskonstituierenden Unterschied machte -, gänzlich
zu eliminieren.
19.09.2015