Man
muss auch mal dankbar sein: Auch wenn man sauer werden könnte,
dass sie einem sämtliche Reservoirs des Protestes abgraben. Weil
sie nämlich gegen alle und jeden hetzen. Und kein Empörungsraum
bleibt, in dem kritischer Journalismus oder auch nur landläufiger
Protest möglich wäre, ohne IHNEN nach dem Maul zu reden.
Die rechtspopulistischen Parteien und ihre Wiedergänger, sie
-, die nur allzu gern gegen die Lügenpresse wettern, - sie haben
sich da jetzt das Monopol gesichert, für alle gegenteilige Meinungen.
Als hätte IHNEN jemand gesteckt, dass es in unserer Zeit keinen
besseren Konsens gibt, als den, dagegen zu sein. Tut man dies mit
ungeahnter Konsequenz und Radikalität, untergräbt man jede
sachliche und auch unsachliche Kritik, die nur eine Spur weniger radikal,
- weil bemüht Reste von Objektivität zu wahren -, sich äußert.
Damit beschneidet man alle Berufskritiker ihrer angestammten Kernkompetenz.
Indem man keine Themen, sondern "das Dagegensein"
besetzt, erklimmt man die Lufthoheit jedes Diskurses - ohne tatsächlich
je einen solchen zu führen - allein, weil man in einer Metadiskussionsebene
operiert und somit allgegenwärtig ist. Das hebelt jede Diskussion
aus und vereinnahmt sie dennoch, denn Dagegensein ist das bestimmende
Moment jeder Opposition und Ansatz-Instrumentarium jeden Versuches
Veränderungen und Fortschritt anzustoßen. Die rücksichtslose
Besetzung des Kritikinstruments ist der schamlose Zug jeder Pauschalisierung.
Als Reaktion auf diese Obszönität nützt es nichts sich
zu echofieren. Sie zu "über"-trumpfen, müsste
man noch eine Metaebene höher beziehungsweise tiefer klettern
und die Fäuste sprechen lassen. Dennoch gibt es positive Reaktionen
zu verzeichnen: Es generiert "das Dagegensein" eine
Kompensationsreaktion - und für diese sollte man letztendlich
dankbar sein - sie bietet nämlich ein Gegenszenario auf, welches
mit Verstreichen der Zeit, "das Dagegensein" als
pures Dagegensein entlarvt. Und so bewirkt die Unverschämtheit,
was vormals nie jemandem in den Sinn gekommen ist, wenn er etwas verändern
wollte, die Affirmation des Guten. Sie erinnert an die guten Dinge!
Sie mobilisiert als Kompensation die unironische Affirmation.
Man registriert das Besinnen auf zu verteidigende Werte und gerngesehene
Tugenden, auf das, was wir schätzen und in unserem Verständnis
von freiem Leben nicht missen wollen. Man könnte es eine Repulsion
in Form einer Besinnungswelle bezeichnen, die sich anschwingt und
die ausgräbt, was längst unter einer Kruste obligatorischer
- vielleicht miesmacherischer - Kritikverpflichtung leichtsinnig dem
Obligatorischen und Selbstverständlichen übergeben wurde
und somit dem Vergessen übergeben wurde. Was ist es denn eigentlich,
was es möglich machte, dass wir uns erlauben können, gegen
etwas zu sein? Das, was man die Kultivierung dessen bezeichnen könnte,
was gemeinhin unter Menschenrechte subsumiert wird. Jene Dinge, auf
die wir stolz sein können, eine Kultur, die tatsächlich
das friedlichen Zusammenleben befördert hat, weil sie traditionelle
Ungerechtigkeiten in Gleichberechtigungen gewendet hat. Und Gleichheit
meint da - ganz im Sinne Odo Marquards - das Recht für jedermann,
anders sein zu dürfen.
Wenn man nicht mehr der Beste auf dem Feld ist, dann wechselt man
das Feld. Allein weil die Alternativen heute keine Alternative mehr
sind, sondern nur die extrem primitive Umsetzung eines allgemeinen
Schlechtredens, verdienen sie die Bezeichnung extremistische Partei.
Deren Einfallslosigkeit zeigt sich spätestens beim Studium ihrer
möglichst lange und weit hinter dem Berg gehaltenen Handlungsabsichten,
sprich Partei-Programme. Beruhigend ist nur, letztendlich findet sich
irgendwann derartig totalitärer Propagandismus stets in der selben
Zwickmühle gefangen, worin die Moderne ihren Dompteur gefunden
hat. Bei aller Traditionsvergessenheit und Fortschrittshörigkeit:
Die nötige Tabula rasa und ein unabdingbarer Neuanfang sind nicht
möglich, wie es das 20. Jahrhundert auf vielfältigste und
grausamste Weise in Kunst, Kultur und Politik (wenn man das dann noch
so nennen darf) experimentell nachgewiesen hat. Ein Zurück, gab
es noch nie, weder in der Evolution noch in der Kultur(-Evolution).
Daher - so haben wir gelernt bekommen - ist ein "Dagegensein"
gegen Alles nichts als Zeitverschwendung und für diejenigen,
die es propagieren absichtliche Zeitvernichtung.
Die Krux ist: Will man in der Moderne etwas konstruktiv kritisieren,
muss man es zugleich lieben. Es hat sich die Weisheit etabliert: Will
man etwas so belassen, wie es ist, muss man es verändern. Will
man etwas verändern, muss man versuchen es zu bewahren. Die Moderne
lehrt uns die Kunst zur "Schizophrenie" als Lebensmotto.
Auch wenn manche es noch als krank ansehen. Dank der vermeintlichen
Alternative, also im Verblassen des schalen Angebotes dessen, was
sich in absolutistischer Anmaßung selbst so nennt, wird man
sich mehr und mehr bestehender Qualitäten und Wertigkeiten bewusst;
mehr als jede Kritik in fortgesetzter Mängelsuche vormals zu
leisten in der Lage war. Mangels besserer Alternative wird man gezwungen
sein, sich in den bislang besten aller Möglichkeiten einzurichten
und ihre Unzulänglichkeiten - zwar skeptisch, aber doch - zu
akzeptieren. Und plötzlich ist da viel Gutes! Danke!
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