Ja,
"Je suis Hebdo", "Ich bin Hebdo", sollte schlicht
eine Solidaritätsbekundung eines Journalisten sein, der seiner
Betroffenheit über den gewaltsamen Tod seiner Kollegen Ausdruck
verleihen wollte. Er tat es routiniert und derart effektiv, dass ihm
schon tags darauf wieder andere Kollegen die Tür einrannten,
um sich erklären zu lassen, wie er auf diesen schmissigen Slogan
gekommen sei. Wahrscheinlich sehr bewusst, oder instinktiv richtig
vermied der Urheber dieser Zeilen sich selbst in den Fokus der Öffentlichkeit
treiben zu lassen und untersagte jede Veröffentlichung eines
Fotos von ihm.
Es finden sich keine kräftigeren Worte, als "zu sein".
In schweren Stunden "ist" man mit anderen. "Ich bin
mit Dir", "Ich bin bei Dir" drücken Beistand aus.
Im Moment, da wir nichts als fallen, ist Stand und Halt unser Verlangen.
Wenn wir uns ganz und gar allumfassend hingeben, dann "sind wir".
Wir sind die Söhne unserer Väter, wir sind mit Gott, im
schlimmsten Fall sind wir was wir sind.
Zu sagen "ich bin", impliziert immer, zu sagen, was man
nicht ist. In Leuten, die dazu neigen, "ich bin" zu sagen,
begegnet man denjenigen, die ihre Identität an vermeintlich handfesten,
ontologischen Gegebenheiten auszurichten versuchen. Eine "Seins"-Bekundung
birgt das Potential Anhängerschaften zu rekrutieren in sich.
Deutlich wurde dies jüngst, als just jene sich des Slogans "Je
suis
" bemächtigten, die sich selbst als die Beleidigten
und die Vergessenen bezeichnen. An der sich innerhalb weniger Jahre
vollständig verkehrenden Konnotation von Sprüchen wie "Wir
sind das Volk" zeigt sich die allgemeine Verwendbarkeit von "Seins"-Sprüchen
und damit das Problem der Umdeutung derartiger Bekundungen. Die Aussage
"Je suis
" ist selbst im neutralen Sinn des Begriffs
unvermeidlich schon Provokation. Mehr noch sie ist obszön, da
sie das Gegenüber bloß stellt, allein stellt. Sie fordert
auf zur Stellungnahme und das provoziert jedes unbeschriebene Gegenüber
zu der Überlegung: "Und was bin ich?" So war vorauszusehen,
dass die stringente Antwort lauten, musste "Je suis Moslem".
Zu sein erfordert die Entscheidung. Man kennt es aus dem archaischen
Reflex: Bist du nicht für, bist Du dagegen!?
Die
Behauptung "je suis" aufzuwerfen war gewiss eine Gratwanderung,
weil in ihr immer der Auftakt einer Grenzziehung konnotiert und der
Beginn einer Kriegsansage mitschwingt. Antworten gibt man darauf üblicherweise
mit Solidarisierung oder Konfrontation. "Je suis" funktioniert
nur im Intimen, im Du und Du, der persönlichen Bekundung. Die
Bühne des Allgemeinen betritt es nicht ohne Risiko. Zielen Ist-Aussagen
zudem auf die Grauzone der Identität, endet es selten angenehm,
weil sie sich beliebig instrumentalisieren lassen und auch beliebig
bis ins Unendliche vervielfältigen. Die Geschichte ist voll davon.
Der Provokateur Sokrates rechtfertigte seine ethisch-moralischen Sticheleien
mit der Bekundung "Ich bin Athener", ehe er zum Giftbecher
griff, der Menschenfänger J.F. Kennedy machte sich lieb Kind
mit der Dreistigkeit: "Ich bin ein Berliner".
Es ist ein kleiner Schritt - vielleicht eben auch, auf perfide verführerische
Weise, kein merkbarer Schritt, sondern eine kontinuierliche Verschiebung,
die durchlaufen wird, wenn sich eine sich gegenseitig unbekannte Menge
an Leuten ein eben solches Schild vor die Brust hält. Ab einer
bestimmten Größenordnung entsteht unwillentlich der Effekt,
den man Massenbildung bezeichnet. In der Größenordnung
der Masse mutiert dann die Formel in ein Mobilisierungsmonster. "Zu
sein" generiert Macht, die aus dem Inneren eines Selbst kommt
und dem ureigenen Wesen zu entspringen scheint. Es ist die einfachste
und zugleich eine unhintergehbare metaphysische Absicherung der eigenen
Person. Jede Ist-Aussage spaltet die Welt, in das Gemeinte und das
davon Ausgenommene. Wenn es noch dazu, wie in diesem Fall, mich meint,
macht es mich zum Auserwählten. Ein fundamentaler Effekt jeder
sprachlichen Formulierung, die auf Aussagenlogik basiert. Die konsequente
Fortführung aller Bekenntnisse in Bezug auf Personen strandet
aber bedauerlicherweise in der Engführung: "Wir sind
die Guten. Ihr seid die Bösen."
Dabei hat sich die Aufklärung einmal so visionär angelassen.
Es war ein Franzose, der sagte "Ich denke, also bin ich".
Und es ist nicht überliefert, ob er je behauptete: "Je
suis
." Damals sprach die aufgeklärte Welt auch
noch Latein, und es hieß eindeutig: "Cogito ergo sum",
und nicht "Ego sum ergo cogito".
Aber was uns schon Descartes zu verstehen geben wollte ist, dass ich
mich nur durch das Denken eines "Ichs" meiner selbst versichern
kann, nur im großen Zweifel, gleichsam als Abrieb meiner Sinnesdaten,
lässt sich im Rückspiegel so etwas, wie ein "Ich"
erkennen. Also weit weg von irgendwelchen handfesten Gegebenheiten,
für die wir eigentlich nichts können und deren Erbe wir
letztlich nur einklagen, wenn wir nichts anderes haben, als uns auf
Althergebrachtes zu berufen. Auch wenn Descartes dem Versuch der Verortung
dieses Geschehens nicht zu widerstehen vermochte, geht man mittlerweile
in der Fortschreibung "Descarte´scher Gedankengänge"
mit Sicherheit davon aus, dass sich erst in den prozessualen, synaptischen
Verschaltungen des neuronalen Cortex besagtes "Ich" ausbildet
- wenn auch Soziologie, Psychologie und Medizin noch dabei sind ihre
Claims abzustecken - jedenfalls ohne jede Möglichkeit einer physischen
Lokalisierung.
Kurzum, im Denken entsteht das "Ich". Da helfen auch Argumente
nicht weiter, daher kann man es getrost unterlassen, weiter hineinbohren
zu wollen, um auf etwas zu stoßen, das Ich "sein"
könnte. Das "Ich" ist keine Steinfrucht, mit weicher
Schale und hartem Kern. Das Ich funktioniert wie eine Tomate mit robuster
Schale ohne Stein, und man kann es leicht zerquetschen. Letztlich
darf es nur nicht so weit kommen, zu sagen: "Ich bin ...,
darum denke ich nicht". Die Vermeidung von "Ich bin"-Sätzen
könnte allerdings schon ein erster Beitrag zur besseren Verständigung
unter Fremden sein.
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