Er,
Raab, der letzte Vollblut-Ironiker des TV verlässt das Studio.
Einer, der gleichzeitig das Web-Video vorweggenommen hat, in welchem
man via Sampletechnik Peinlichkeiten präsentiert, oder besser
noch, kreiert. Der Spott und Häme gesellschaftstauglich machte,
allein aus dem Grunde, weil jeder damit zu leben hätte, in einer
Medienwelt, und der doch mit beiden Beinen unmissverständlich
im Zeitalter der Ironie sozialisiert worden war. Der nämlich
noch instinktiv »wusste«, weshalb sein Brachialwitz so
revolutionär sein konnte.
Wenn man dem überdimensionalen Grinsen nicht abnahm, dass es
nur das des respektlosen Klassenclowns sei, dann waren es die Momente
des Stefan Raab. Dann blitzte dieses Wissen durch, dann ahnte der
Zuseher, dass das XXXL-Lachen über die reine Schadenfreude doch
weit hinaus ging, dass diese ostentativ vorgeschützt war und
so der banalen Verhohnepiepelung jene Wendung versetzte, hinter der
man die Fratze der niederträchtigen Verachtung für grenzdebiles
Verhalten in der Öffentlichkeit greifen konnte.
Dass ihm selbst peinliche Selbstzurschaustellung gänzlich fremd
war, zeigt die traditionelle, strikte Trennung von Privatleben und
Show-Business. Während andere glauben ihm nachzueifern, wenn
sie ihre grenzenlose Verblödung in der Öffentlichkeit freizügig
darlegen, haben sie längst nicht verstanden, dass Raab sich augenscheinlich
zwar nie selbst geschont hat, indem er bereitwillig die Rampensau
gab, aber dennoch penibel verstand sein Privatleben vor der Preisgabe
zu reservieren. Auch wenn wir es glauben wollen, wir haben Raab nie
wirklich nackt gesehen.
Machte Harald Schmidt seine Late-Night-Show als Format noch innerhalb
des TV-Rahmens, versucht sich "TV Total" mit der Sprengung
- oder zumindest mit dem auf die Schultern nehmen - des Rahmens, das
Medium selbst in den unzensierten Blick zu bekommen. Der Name seiner
One-Man-Show versteht sich als Kampfansage und als bissiger selbstreferentieller
Kommentar, ist er doch selbst einem Tele-Sendeplatz verpflichtet,
und er schließt mit ein, dass er sich von Anfang an, selbst
nicht zu ernst nimmt. Sein Rezept ist Selbstironie gut getarnt hinter
Brachialwitzen und vermeintlicher Authentizität. Da muss klar
sein, dass verwaschene Jeans, ausgeleiertes Sakko und hellblaues Hemd
so sehr unspektakulär, wie pointiert, aufgetragen wurden, und
in ihrer Penetranz über Jahrzehnte hinweg umso unmissverständlicher
als Zitat aus der Klamottenkiste der Authentizität zu werten
sind.
Wenn Raab eines geschafft hat, dann die Enttarnung der Verblödung
mit ihren eigenen Mitteln. Die Entlarvung der eigenen Banalität
durch die Primitivität des Lachers. Warum sonst, nennt man sich
"Die Bekloppten"? Man "lebt" das Blöde, um
die Verblödung auszustellen. Weil es an der Zeit ist zu zeigen,
dass zahlreichen anderen "Künstlern" dieser Bandname
weit angemessener wäre, ohne dass sie ihn je in Erwägung
gezogen hätten. Dazu war die Grenzziehung zum Privaten unumgängliches
Mittel zum Zweck, das allein ausreicht, ihn als Ironiker zu enttarnen.
Der verloren ist ohne einen seiner Distanzierung zur Verfügung
stehenden "Leerraum".
Dennoch wies sein Handwerk bereits in eine neue Zeit. Als Berufsjugendlicher
ist er Wegbereiter geblieben und funktionierte bis zuletzt als Magnet
für den Nachwuchs. Man darf sich durchaus vorstellen, dass für
den Meister so mancher seiner letzten Auftritte nicht ohne Schrecken
gewesen sein dürfte, da er vor pubertierenden, pickeligen, grienenden
Gesichtern seines allabendlichen Auditoriums trat und ihm klar geworden
sein dürfte, wie weit er sich selbst davon schon entfernt hat.
Während Harald Schmidt - um noch einmal auf den Godfather of
German-Late-Night zurückzukommen - mittels Affirmation des Amoralischen
als distanzierendes Besteck seines Zynismus, sich die Dumpfheit unter
größten Mühen - wie vom Ekel getrieben - vom Leib
hielt, ging Raab scheinbar sorglos die maßgebliche Stufe weiter
- nach unten, mitten hinein. Gewagt, darf man sagen! Er kannte nie
Berührungsängste mit Frivolitäten und Machismen, und
dass der Metzgersohn unter Hypochondrie leidet ist zumindest zu bezweifeln.
Zugute kommt ihm bei allen Schlammschlachten auf die er sich je einließ,
dass sein Naturell nachhaltig, wenn nicht gar traumatisch, vom Kampfgeist
geprägt ist. Er praktizierte alle Verwerflichkeiten des Schaugewerbes
mit Verve als öffentliche Figur "Raab" (wenn wir es
nicht besser wüssten, was wunderte es, wäre es gar ein Künstlername),
als die gelebte Affirmation der grenzenlosen Verausgabung.
Er war es, der Political In-Corectness am Samstagabend als politisches
Statement einführte, zu Zeiten, da das Fremdwort dafür noch
nicht eingedeutscht war, womit er es aber wider allen Prognostikern,
bis zum echten Kanzlerduell brachte. Er führte das Volkslied
vor, indem er Volkslieder schrieb. Er desavouierte die Altbackenheit
des Eurovision Songcontests so nachhaltig, dass dieser sich in seiner
Ausrichtung des Großmeisters Hartnäckigkeit zu beugen schien
und sich de facto wandelte. So ihm dies ermöglichte Jahre später
die Herausforderung - diesmal ernsthaft - und wie sollte es anders
sein, erfolgreich anzunehmen. Zeigte sich Ironie bei Harald Schmidt
hinter ostentativ vorgetragener (unernster) Ernsthaftigkeit, so bei
Stefan Raab hinter offen verlachendem Lachen. Er zeigte uns, dass
das Auslachen als reiner Schein der Belustigung, der maßlosen
Verachtung dienstbar sein kann, indem es einen Schutzraum aufspannt,
in den man sich in ruhiger Stunde wegducken kann.
Stefan Raab ist das Siegergrinsen von Natur aus ins Gesicht geschnitten,
da kann selbst er wirklich nichts dafür. Dabei ungeklärt
wird bleiben, ob er so grinst, weil er immer gewinnt, oder ob er immer
nur siegt, weil er so grinst. Möglicherweise trug Raab sogar
dazu bei, dass das Siegergrinsen innerhalb eines Generationenwechsels
gesellschaftsfähig wurde. Er zeigte den Deutschen, als einer
der ersten, dass es opportun ist, zu siegen, und dass man sich dafür
nicht schämen muss, sondern sich selbst obendrein auf die Schulter
klopfen darf. Mehr Tabubruch ging kaum für eine Generation für
die Eigenlob noch stank. Und es funktionierte, weil er dazu grinste
- breiter als alle anderen.
Er zeigte, dass Spiele dazu da sind, ernst genommen zu werden. Weil
nur, wenn man sie ernst nimmt, können Spiele überhaupt nur
Spiele sein und nicht Ernst. Und die Spieler dabei aber nur Staffage
sind, Rollen, die man zu besetzen hat. Dann kann man im Spiel hemmungslos
siegen, so wie man im Showbizz hemmungslos enttarnen muss, weil es
nie um den Spieler geht, sondern um die Glaubwürdigkeit der Tarnung,
weil es nicht um den Entertainer geht, sondern um die Show. Weil nichts
ist, als Maskerade. Nebenbei hat er plausibel dargelegt, dass die
effektivste Maske, die ist, so zu tun, als hätte man keine auf.
So fiel dem Stefan eines Abends, in den Gesichtern seines verhärmten
und plump überschminkten Publikums und seinen zahlreichen Mienen
des Unverständnisses auf, dass sie ihm auf den Leim gegangen
waren. Sie signalisierten ihm, dass immer weniger seiner bekennenden
Zuseher überhaupt noch in der Lage zu sein scheinen, seine Ironie
zu lesen, den Spagat zu würdigen, den er sich anstrengt, jeden
Abend noch hinzubekommen. Seine Spiele noch als Spiele zu erkennen.
Wenn sie sie als Ernst nehmen, muss das in seinem Geschäft den
Ruin bedeuten. Darüber wurde er müde und sah, dass gar nicht
mehr gelingen kann, worauf er einst abzielte. Die alte Zeit als Kulisse
war ihm abhandengekommen. Seine Zeit ist da zu Ende, wo die Plattheit
des Web-Videos alles erdrückt, die Ironie keine Luft mehr bekommt.
Dann hat Stefan den Raab überlebt. Das "Große Grinsen"
darf gehen.
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