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Das Große Grinsen geht
Der Archaeopteryx des Showgeschäfts hat ausgedient
von Jürgen Mick

Er, Raab, der letzte Vollblut-Ironiker des TV verlässt das Studio. Einer, der gleichzeitig das Web-Video vorweggenommen hat, in welchem man via Sampletechnik Peinlichkeiten präsentiert, oder besser noch, kreiert. Der Spott und Häme gesellschaftstauglich machte, allein aus dem Grunde, weil jeder damit zu leben hätte, in einer Medienwelt, und der doch mit beiden Beinen unmissverständlich im Zeitalter der Ironie sozialisiert worden war. Der nämlich noch instinktiv »wusste«, weshalb sein Brachialwitz so revolutionär sein konnte.

Wenn man dem überdimensionalen Grinsen nicht abnahm, dass es nur das des respektlosen Klassenclowns sei, dann waren es die Momente des Stefan Raab. Dann blitzte dieses Wissen durch, dann ahnte der Zuseher, dass das XXXL-Lachen über die reine Schadenfreude doch weit hinaus ging, dass diese ostentativ vorgeschützt war und so der banalen Verhohnepiepelung jene Wendung versetzte, hinter der man die Fratze der niederträchtigen Verachtung für grenzdebiles Verhalten in der Öffentlichkeit greifen konnte.

Dass ihm selbst peinliche Selbstzurschaustellung gänzlich fremd war, zeigt die traditionelle, strikte Trennung von Privatleben und Show-Business. Während andere glauben ihm nachzueifern, wenn sie ihre grenzenlose Verblödung in der Öffentlichkeit freizügig darlegen, haben sie längst nicht verstanden, dass Raab sich augenscheinlich zwar nie selbst geschont hat, indem er bereitwillig die Rampensau gab, aber dennoch penibel verstand sein Privatleben vor der Preisgabe zu reservieren. Auch wenn wir es glauben wollen, wir haben Raab nie wirklich nackt gesehen.

Machte Harald Schmidt seine Late-Night-Show als Format noch innerhalb des TV-Rahmens, versucht sich "TV Total" mit der Sprengung - oder zumindest mit dem auf die Schultern nehmen - des Rahmens, das Medium selbst in den unzensierten Blick zu bekommen. Der Name seiner One-Man-Show versteht sich als Kampfansage und als bissiger selbstreferentieller Kommentar, ist er doch selbst einem Tele-Sendeplatz verpflichtet, und er schließt mit ein, dass er sich von Anfang an, selbst nicht zu ernst nimmt. Sein Rezept ist Selbstironie gut getarnt hinter Brachialwitzen und vermeintlicher Authentizität. Da muss klar sein, dass verwaschene Jeans, ausgeleiertes Sakko und hellblaues Hemd so sehr unspektakulär, wie pointiert, aufgetragen wurden, und in ihrer Penetranz über Jahrzehnte hinweg umso unmissverständlicher als Zitat aus der Klamottenkiste der Authentizität zu werten sind.

Wenn Raab eines geschafft hat, dann die Enttarnung der Verblödung mit ihren eigenen Mitteln. Die Entlarvung der eigenen Banalität durch die Primitivität des Lachers. Warum sonst, nennt man sich "Die Bekloppten"? Man "lebt" das Blöde, um die Verblödung auszustellen. Weil es an der Zeit ist zu zeigen, dass zahlreichen anderen "Künstlern" dieser Bandname weit angemessener wäre, ohne dass sie ihn je in Erwägung gezogen hätten. Dazu war die Grenzziehung zum Privaten unumgängliches Mittel zum Zweck, das allein ausreicht, ihn als Ironiker zu enttarnen. Der verloren ist ohne einen seiner Distanzierung zur Verfügung stehenden "Leerraum".

Dennoch wies sein Handwerk bereits in eine neue Zeit. Als Berufsjugendlicher ist er Wegbereiter geblieben und funktionierte bis zuletzt als Magnet für den Nachwuchs. Man darf sich durchaus vorstellen, dass für den Meister so mancher seiner letzten Auftritte nicht ohne Schrecken gewesen sein dürfte, da er vor pubertierenden, pickeligen, grienenden Gesichtern seines allabendlichen Auditoriums trat und ihm klar geworden sein dürfte, wie weit er sich selbst davon schon entfernt hat.

Während Harald Schmidt - um noch einmal auf den Godfather of German-Late-Night zurückzukommen - mittels Affirmation des Amoralischen als distanzierendes Besteck seines Zynismus, sich die Dumpfheit unter größten Mühen - wie vom Ekel getrieben - vom Leib hielt, ging Raab scheinbar sorglos die maßgebliche Stufe weiter - nach unten, mitten hinein. Gewagt, darf man sagen! Er kannte nie Berührungsängste mit Frivolitäten und Machismen, und dass der Metzgersohn unter Hypochondrie leidet ist zumindest zu bezweifeln. Zugute kommt ihm bei allen Schlammschlachten auf die er sich je einließ, dass sein Naturell nachhaltig, wenn nicht gar traumatisch, vom Kampfgeist geprägt ist. Er praktizierte alle Verwerflichkeiten des Schaugewerbes mit Verve als öffentliche Figur "Raab" (wenn wir es nicht besser wüssten, was wunderte es, wäre es gar ein Künstlername), als die gelebte Affirmation der grenzenlosen Verausgabung.

Er war es, der Political In-Corectness am Samstagabend als politisches Statement einführte, zu Zeiten, da das Fremdwort dafür noch nicht eingedeutscht war, womit er es aber wider allen Prognostikern, bis zum echten Kanzlerduell brachte. Er führte das Volkslied vor, indem er Volkslieder schrieb. Er desavouierte die Altbackenheit des Eurovision Songcontests so nachhaltig, dass dieser sich in seiner Ausrichtung des Großmeisters Hartnäckigkeit zu beugen schien und sich de facto wandelte. So ihm dies ermöglichte Jahre später die Herausforderung - diesmal ernsthaft - und wie sollte es anders sein, erfolgreich anzunehmen. Zeigte sich Ironie bei Harald Schmidt hinter ostentativ vorgetragener (unernster) Ernsthaftigkeit, so bei Stefan Raab hinter offen verlachendem Lachen. Er zeigte uns, dass das Auslachen als reiner Schein der Belustigung, der maßlosen Verachtung dienstbar sein kann, indem es einen Schutzraum aufspannt, in den man sich in ruhiger Stunde wegducken kann.

Stefan Raab ist das Siegergrinsen von Natur aus ins Gesicht geschnitten, da kann selbst er wirklich nichts dafür. Dabei ungeklärt wird bleiben, ob er so grinst, weil er immer gewinnt, oder ob er immer nur siegt, weil er so grinst. Möglicherweise trug Raab sogar dazu bei, dass das Siegergrinsen innerhalb eines Generationenwechsels gesellschaftsfähig wurde. Er zeigte den Deutschen, als einer der ersten, dass es opportun ist, zu siegen, und dass man sich dafür nicht schämen muss, sondern sich selbst obendrein auf die Schulter klopfen darf. Mehr Tabubruch ging kaum für eine Generation für die Eigenlob noch stank. Und es funktionierte, weil er dazu grinste - breiter als alle anderen.

Er zeigte, dass Spiele dazu da sind, ernst genommen zu werden. Weil nur, wenn man sie ernst nimmt, können Spiele überhaupt nur Spiele sein und nicht Ernst. Und die Spieler dabei aber nur Staffage sind, Rollen, die man zu besetzen hat. Dann kann man im Spiel hemmungslos siegen, so wie man im Showbizz hemmungslos enttarnen muss, weil es nie um den Spieler geht, sondern um die Glaubwürdigkeit der Tarnung, weil es nicht um den Entertainer geht, sondern um die Show. Weil nichts ist, als Maskerade. Nebenbei hat er plausibel dargelegt, dass die effektivste Maske, die ist, so zu tun, als hätte man keine auf.

So fiel dem Stefan eines Abends, in den Gesichtern seines verhärmten und plump überschminkten Publikums und seinen zahlreichen Mienen des Unverständnisses auf, dass sie ihm auf den Leim gegangen waren. Sie signalisierten ihm, dass immer weniger seiner bekennenden Zuseher überhaupt noch in der Lage zu sein scheinen, seine Ironie zu lesen, den Spagat zu würdigen, den er sich anstrengt, jeden Abend noch hinzubekommen. Seine Spiele noch als Spiele zu erkennen. Wenn sie sie als Ernst nehmen, muss das in seinem Geschäft den Ruin bedeuten. Darüber wurde er müde und sah, dass gar nicht mehr gelingen kann, worauf er einst abzielte. Die alte Zeit als Kulisse war ihm abhandengekommen. Seine Zeit ist da zu Ende, wo die Plattheit des Web-Videos alles erdrückt, die Ironie keine Luft mehr bekommt. Dann hat Stefan den Raab überlebt. Das "Große Grinsen" darf gehen.

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