Das
Geheimnis des Surfers sei hiermit verraten: Er ist - mit Verlaub -
eine faule Sau. Und seine Faulheit provoziert den Neid der unsensiblen
Schwermotoriker, wenn immer er oben auf - on top of the wave
- in spielerischer Eleganz seine scheinbar beliebigen Kreise zieht.
Man sieht ihm nichts seiner Anstrengung an. Alles scheint ihm gegeben,
in ihm eingelagert, die Gewissheit und das Vertrauen auf die immer
zur Seite stehende, unterstützende Kraft der ... Natur?! Man
neidet ihm seine Unbedarftheit, seine Nonchalance, sein Gottvertrauen
und fragt sich, woher weiß er nur, dass alles gut auslaufen
wird oder ist er einfach nur naiv?
Gewiss weiß jeder, dass auch der Surfer einmal stürzt,
dass er überrollt wird von Gewalten, die größer sind
als er. Doch nicht einmal das, scheint ihm irgendetwas anhaben zu
können. Er taucht wieder auf, schmeißt sein Haupt auf die
Seite und schwingt sich erneut auf sein Brett. Er erklimmt in unnachahmlicher
Eleganz den Wellenberg immer wieder von neuem. Wer hat dem Surfer
die Lehren des Sisyphos eingeimpft, ihm mit der Muttermilch Gelassenheit
injiziert?
Meist tut er nichts, oder nichts anderes, als sich seiner Posen zu
versichern, sein Board zu streicheln, aufs Meer hinaus zu blinseln
und zu warten, - auf die richtige Welle. Denjenigen, die sich mühen
und die vor Schweiß ihr Angesicht kaum mehr wiedererkennen,
kommt es vor, als hätte er ein Leben lang Urlaub. Als sei er
aus der Wiege auf ein Board gefallen, das ihn durchs Leben schaukelt.
Hält den Surfer eine höhere Hand oder Ist er nur mit Selbstvertrauen
bis zum Überdruss beseelt?
Der Surfer ist mit Sicherheit der Meister der Passivität, der
jede Brise zu nutzen weiß, der den Wind erschnuppert, der ihm
unter die Arme greifen wird, der ihn in den Rücken stößt,
nicht um ihn zu Fall zu bringen, sondern ihn zu fernen Ufern zu tragen,
die er stets eher zufällig erreicht. Man sagt, er hat Instinkt
und Sensibilität für das Unberechenbare, das Chaos aus dem
die Welle sich erhebt. Er hat begriffen, dass jeder Eingriff unvorhergesehene
Folgen zeitigt, dass Absicht nichts ist, als gegen das Schicksal vorzugehen.
So könnte man ihn sicherlich auch ein bisschen feige und ganz
und gar fatalistisch nennen, wenn er denn zumindest an Schicksal glauben
würde. Selbst das nachzuweisen dürfte schwierig werden,
kaum jemand ist atheistischer veranlagt als er, der lediglich weiß
die Strömungen richtig zu lesen. Auf den Punkt genau, sieht er,
was ihn voran bringt.
Wenn man genau hinschaut, ist er eigentlich immer allein unterwegs.
Sein Brett ist nicht gemacht für weitere Komplizen. Der Vorwurf
des Egoismus ließe sich dennoch nicht leicht beweisen. Eher
liegt es ihm, den Egozentriker zu geben, der in seiner Welt lebt,
die Verschrobenheit pflegt und einem Extremsport huldigt. Ein Künstler,
wenn man so will. So sieht man ihm bewundernd nach, dass er ab und
an ein bisschen asozial wirkt. Es ist unbestreitbar sein Vorteil,
dass er weiß, dass Kraft am Sinnvollsten eingesetzt ist, wenn
man vorgefundene Strömungen nutzt. Er weiß instinktiv,
um die nicht gänzlich zu entziffernden Zusammenhänge von
Ursache und Wirkung. Er legt im optimalen Fall ausreichend Zögerlichkeit
an den Tag, dass jedenfalls nichts Falsches geschieht. Dafür
ist er zu schlau und kennt seine Umwelt instinktiv.
Allein
den Künstler will man ihm nicht abnehmen. Erscheint der Künstler
doch eher als das Pendant zum Surfer. Als derjenige, der seine Umwelt
hartnäckig bearbeitet und verarbeitet, sich an ihr abarbeitet,
ohne je vom Fleck zu kommen. Der beharrlich formt und gestaltet, bis
ihm seine Umwelt so taugt, wie sie ihm vorschwebt. Der sich seine
Welt erst erbaut, anstatt sie sich zu Diensten zu machen. Sie jedenfalls
nie so belässt, wie sie ihm begegnet. Ohne die Kraft, die ihn
treibt, verfällt er dem Schlendrian. Sinkt hinab auf des Trübsals
Boden. Alles was der Künstler tut, muss er tun, aus unerfindlichen
Gründen, nichts darf so sein wie es ist! Bis dass er sich glücklich
schätzt, weil er sich seine Stirn an seinem Bau blutig geschlagen
hat. Zugegeben auch er ist aus beschriebenen Umständen allein
mit sich. Seine Biografie liest sich meist wie die eines klaustrophoben
Workaholic. Seine Arbeit ist ihm das einzig wertvolle, weshalb manche
streiten, ob man sie da auch Arbeit nennen darf, aber das ist Definitionssache.
Nur irgendeine Ungeduld in seinem Innern treibt ihn jeden Morgen aus
dem Bett, andernfalls ist er tot, oder er hat eine Krise. Dabei -
so scheint ihn der Surfer zu belehren - könnte er genauso gut
nichts tun. Doch allein das Tun beschert dem Künstler - ganz
anders als dem Surfer - immer wieder Momente der Glückseligkeit.
Ob
der Surfer glücklich ist? Er sieht zumindest immer so aus. Mit
der Lässigkeit des Understatements, wohl bedacht auf sein Äußeres,
muskulös, braungebrannt berufsbedingt. Wogegen der Künstler
auch glücklich - mit leichenblassem Teint, mit müden Augen
-, nie danach aussieht. Der Künstler ist ein Getriebener, der
Surfer ein Treibender.
Der Surfer ist von Grund auf geduldig und scheint grundsätzlich
kein Ziel zu verfolgen. Ein Meister des Prokrastinierens, ein Freibeuter
der guten Gelegenheit; ein Ziel würde zu Fehlentscheidungen verleiten.
Ihm wird nichts bleiben, als sich nach der Welle zu richten. Wie eine
Löwin auf der Pirsch wartet er geduckt und kommt aus der Deckung,
wenn die Situation beherrschbar erscheint, wenn er glaubt richtig
zu stehen, es nur eine Richtung gibt: Nach vorn!
Mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, ist ihm zuwider, daher präferiert
er das fluide Medium. Er ist trainiert und geschult, erst zu agieren,
wenn er Herr der Lage ist. Er ist derjenige, der getragen wird und
alles unterlässt, diesen Zustand zu gefährden. Im Punkt
des Gelingens kommt er dann dem Künstler bedenklich nahe, den
schmalen Grat zum Kitsch zu meistern. In versöhnlicher Kongruenz
sehen wir das Geheimnis des Surfers als Panorama-Tapete neidvoll in
Sonnenuntergangsfarben vor uns ausgebreitet, als Apotheose desjenigen,
den nicht die größte Hitze zum Schwitzen bringt.
+