Wut
scheint allgegenwärtig in diesen Tagen; die Luft erfüllt
von Missmut und Unzufriedenheit. Nur worüber eigentlich? Genau
über dieser Frage zeigt sich das Wesen der Wut und vor allem
ihr Unterscheidungsmerkmal, das sie vom Zorn abhebt. Im Wut-Handeln
entschlüsselt sich das undefinierbare Gefühl der Repression.
Der Wut geht eine diffuse Kränkung voraus. So geht das Wüten
ziellos auf Vergeltung aus. Zorn hingegen gilt der Versagung eines
Anspruchs und will unmissverständlich Unmut über einen bestimmbaren
Sachverhalt zum Ausdruck bringen. Während Wut sich unkontrolliert
gegen alle Seiten richtet erwählt Zorn einen konkreten Gegner.
Der planlose Rundumschlag ist typisch für die Wut. Die Diffusität
ist Indiz dafür, dass wir es mit einer schweridentifizierbaren
Kränkung zu tun haben, die selten weiter auszuformulieren in
der Lage ist, woher sie rührt und wogegen sie sich richtet. Vom
Zorn wissen wir, dass er auch gerecht sein kann und manchmal sogar
heilig. Von einer heiligen Wut hingegen hat man noch wenig gehört,
eher schon von ihrer Blindheit. Wenn beide Affekte auch gemeinsam
haben, dass sie auf hoch emotionaler Basis operieren, so verliert
der Wütende dabei eher den Kopf, während der Zornige noch
in der Lage ist ein Thema, ein Subjekt zu erwählen und auf Behebung
von Problemen aus ist. Im Zorn schwingt die Hoffnung auf Besserung
mit. Und Hoffnung führt die Zukunft im Schilde.
Zum Thema Zukunft lesen wir bei Niklas Luhmann, dass er darin für
die Politik ihre essentielle Funktion sieht. Politik ist die institutionelle
Verwaltung von unbestimmter Zukunft, durch Produktion von Entscheidungen.
Dieser Entscheidungsprozess kann in Demokratien vom Wähler vorselektiert
werden. Dazu bilden sich in der Regel Parteien und im Allgemeinen
manifestierte sich alles in einem sogenannten Rechts-Links-Spektrum.
Anhand dieser Vorselektion nimmt der Bürger Einfluss auf den
Entscheidungsprozess.
Wie sich mittlerweile an mehr oder weniger gelungenen Beispielen belegen
lässt, haben Kategorien wie Rechts/Links ausgedient. Nach den
Wahlen in Griechenland formierte sich ein regierungsbildendes Bündnis
zwischen der extremen Linken und extremen Rechten. Aber auch in außerparlamentarischen
Gruppierungen zeichnet sich die Tendenz zu heterogener Zusammensetzung
ab. So laufen unter den Transparenten von PEGIDA ein nicht identifizierbares
Bevölkerungsamalgam zusammen, wie es noch vor wenigen Jahren
undenkbar gewesen wäre. Für ein gemeinsames Ziel organisieren
sich Zweckbündnisse, die keine ideologische Absicherung mehr
benötigen.
Selbst im parlamentarischen Alltag signalisiert die "Attraktivität"
einer Großen Koalition, dass links/rechts kein geeigneter Dipol
mehr scheint, der das Entscheiden leichter macht. Vielleicht liegt
es daran, dass es nur blockierend wirkt, wenn man heute auf Basis
von vorselektierten Entscheidungsmöglichkeiten vorab festgelegt
wird. Die Realität ist für derart träge Kategorien
zu wendig, die Sachverhalte zu komplex und undurchschaubar. So fühlen
sich alle sehr wohl, wenn sie niemand mehr auf rechts/links festlegen
kann. Und sollte es dennoch einmal geschehen wird dann - in Notwehr
sozusagen - mit dem Allzweck-Argument der Alternativlosigkeit ein
Abweichen vom Kurs verkauft.
Allerdings tut sich da die nächste Falle auf: Wer zu oft Alternativlosigkeit
akklamiert, eliminiert jede Zukunft und enthebt die Politik ihrer
Kernkompetenz: Dem Entscheiden. Außerdem weiß man doch
zu keiner Zeit besteht wirklich Alternativlosigkeit; eher leiden wir
in unseren Tagen an Optionsüberschuss. Eigentlich sollte nur
das permanente Oszillieren der Akteure, wie Luhmann es nennt, in einer
fluktuierenden Umwelt vor der verunsicherten Bevölkerung kaschiert
werden.
Perfider Weise ist man gerade in unsicheren Zeiten auf handfeste Maximen
aus. Oder umgekehrt, empfindet man Zeiten ohne Handlungsmaxime, als
unsichere Zeit. Insofern hat Politik in der Demokratie vor allem in
Zeiten der Unsicherheit mit ihrer Transparenz zu kämpfen. Je
unberechenbarer die Zukunft sich gibt, ist Politik in ihrer Aufgabe
Zukunft zu imaginieren ge- bzw. überfordert.
Die Schwachstelle der Demokratie ist es, das Abwägen von differierenden
Meinungen nicht als "Lavieren zwischen Interessen" erscheinen
zu lassen. Das sorgt für Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit
und zur Krise der Demokratie. Das Zulassen von Kritik ist der Demokratie
ein zuverlässiges Mittel gegen Erstarrung einerseits, gleichzeitig
aber kommt es zu einer "schleichenden Entwertung politischer
Kommunikation" . Daher behebt man Krisen noch immer am geschicktesten
hinter verschlossenen Türen. Und liefert die Legitimation im
Nachklang als Presseverlautbarungen.
So erlebt der Bürger, wie die Partei-Politik hinter gemeinsamen
Zielen konvergiert. Die Politik verweigert die Polarisation und untergräbt
das Parteiensystem somit aus eigenem Interesse. Entscheidungen lassen
sich nicht mehr als schwarz/weiß identifizieren. Es entsteht
der Eindruck der Beliebigkeit und der Wankelmütigkeit. Nur eines
liegt noch im Interesse der Akteure, dass nichts falsch verstanden
wird, soll heißen, dass man ihnen Versagen vorwerfen kann. Deshalb
vermeidet man, wie der Teufel das Weihwasser, ungeeignet in die Schlagzeilen
zu kommen.
Und genau an der Achillesferse der Politik parasitieren unsere Massenmedien
von dem politisch-demokratischen Dilemma. Dass Lügenpresse zum
Unwort des Jahres 2014 gewählt wurde, markiert sehr deutlich
diese Sollbruchstelle der Systeme Politik und Massenmedien. Wenn auch
diffamierend und unpräzise, ist instinktiv der Finger in die
Wunde gelegt.
Beiden Systemen wird vom Bürger viel zugemutet: Fälschlicher
Weise wird die Politik in den Rang eines Wohlstandgaranten gedrängt.
Dabei verwaltet sie lediglich Zukunft. Die Massenmedien geben zwar
unseren "Welthorizont" vor, aber sie sind kein Wahrheitsgarant.
Massenmedien sind zu keiner Zeit objektiv, sondern das liegt in der
Natur der Sache, prinzipiell selektiv, ansonsten könnten sie
die Komplexität der Realität gar nicht greifbar machen.
Das Ineinandergreifen beider Systemoperationen verschärft permanent
den Korridor des Sagbaren. Der Skandalisierungsmechanismus der Massenmedien
wacht traditionell über die Grenzen des "Erlaubten".
Der Zwang zum Skandal, der die Macher vor sich hertreibt und ihnen
Sensationen abpresst, treibt das Spektrum des Sagbaren in die Enge:
Die Skandale dürfen schließlich nicht ausgehen.
Die Konsequenz für den Bürger ist, man lamentiert über
die Langeweile in der Politik, beschwert sich über die eigene
Ohnmacht und verflucht die Lügner. In Zeiten da Protest und Zorn
noch geholfen haben, wusste man wohin mit dem Unmut. Dass es mittlerweile
anders ist, liegt einerseits daran, dass man die Orte verbalen Wütens
deklassiert hat, und indem man die Akteure wohlwollend belächelt
und mit ihnen vereinnahmend sympathisiert. Andererseits manifestiert
sich im Wut-Handeln das Unwissen um die Bedeutung des eigenen Handelns,
das obgleich es nicht mehr als links/rechts beschreibbar ist (was
einige mit Gewalt versuchen rückgängig zu machen) mitnichten
so belanglos ist, wie es daher kommt, weil die Unmittelbarkeit der
Wirkungen abhandenkam.
Ganz anders beim Wüten. Die unmittelbare Wirkmächtigkeit
von Gewalt erlöst vom Schmerz der Unterdrückung. Erleichterung
herrscht wenn endlich das Ventil bricht, sei es bei gewaltbereiten
Demonstrationen oder bei der Eskalation im Terrorismus. Der aufgestaute
Druck der Affekte gründet im Einschnüren des Protestraums
und der Verunglimpfung seiner Bedeutung. Protest will ernstgenommen
werden und nicht weggelächelt. Zorn sucht Gegner und nicht Moderatoren.
Da ist eine Medienlandschaft der Hysterisierung kontraproduktiv und
eine Politikerriege, die sich vor Angst auf die Zunge beißt
lähmend. "Man sollte die Dinge auch einmal beim Namen nennen",
wie Papst Franziskus als Osterbotschaft verkündet. Doch das tun
im besten Falle noch die Kabarettisten, doch die sind ja von Zunft
wegen zum Weglächeln.
In dem Moment, da man merkt, dass Aufregen nichts hilft, steigt die
Wut hoch und es öffnet sich die Spirale der Eskalation von Alles-sagen-können,
weil-nicht-gehört-wird. Ein sicherer Weg die Gekränkten
und die Unzufriedenen in die kriminellen Arme der Wuthandelnden zu
treiben.
Dem Zorn sollte öffentlich Platz eingeräumt werden. Dafür
muss die Politik die Wege der Kommunikation freihalten, will sie nicht
nur Wut zu spüren bekommen. Eine Technik des Echauffierens und
des Zürnens darf nicht verkommen und wegmoderiert werden, sondern
muss offenstehen, denen die sich engagieren und einmischen wollen.
Gerade in diesen Tagen, da man den Eindruck nicht los wird, dass die
letzten großen Einmischer und Unruhestifter die Bühne für
immer verlassen. Gerade sie, möchte man seufzen, denen es eine
Bürgerpflicht gewesen ist, zu zürnen.
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