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15.02.15 »Je suis« das Problem

 

Achtet den Zorn, sonst werdet ihr Wut spüren
von Jürgen Mick

Wut scheint allgegenwärtig in diesen Tagen; die Luft erfüllt von Missmut und Unzufriedenheit. Nur worüber eigentlich? Genau über dieser Frage zeigt sich das Wesen der Wut und vor allem ihr Unterscheidungsmerkmal, das sie vom Zorn abhebt. Im Wut-Handeln entschlüsselt sich das undefinierbare Gefühl der Repression. Der Wut geht eine diffuse Kränkung voraus. So geht das Wüten ziellos auf Vergeltung aus. Zorn hingegen gilt der Versagung eines Anspruchs und will unmissverständlich Unmut über einen bestimmbaren Sachverhalt zum Ausdruck bringen. Während Wut sich unkontrolliert gegen alle Seiten richtet erwählt Zorn einen konkreten Gegner.

Der planlose Rundumschlag ist typisch für die Wut. Die Diffusität ist Indiz dafür, dass wir es mit einer schweridentifizierbaren Kränkung zu tun haben, die selten weiter auszuformulieren in der Lage ist, woher sie rührt und wogegen sie sich richtet. Vom Zorn wissen wir, dass er auch gerecht sein kann und manchmal sogar heilig. Von einer heiligen Wut hingegen hat man noch wenig gehört, eher schon von ihrer Blindheit. Wenn beide Affekte auch gemeinsam haben, dass sie auf hoch emotionaler Basis operieren, so verliert der Wütende dabei eher den Kopf, während der Zornige noch in der Lage ist ein Thema, ein Subjekt zu erwählen und auf Behebung von Problemen aus ist. Im Zorn schwingt die Hoffnung auf Besserung mit. Und Hoffnung führt die Zukunft im Schilde.

Zum Thema Zukunft lesen wir bei Niklas Luhmann, dass er darin für die Politik ihre essentielle Funktion sieht. Politik ist die institutionelle Verwaltung von unbestimmter Zukunft, durch Produktion von Entscheidungen. Dieser Entscheidungsprozess kann in Demokratien vom Wähler vorselektiert werden. Dazu bilden sich in der Regel Parteien und im Allgemeinen manifestierte sich alles in einem sogenannten Rechts-Links-Spektrum. Anhand dieser Vorselektion nimmt der Bürger Einfluss auf den Entscheidungsprozess.
Wie sich mittlerweile an mehr oder weniger gelungenen Beispielen belegen lässt, haben Kategorien wie Rechts/Links ausgedient. Nach den Wahlen in Griechenland formierte sich ein regierungsbildendes Bündnis zwischen der extremen Linken und extremen Rechten. Aber auch in außerparlamentarischen Gruppierungen zeichnet sich die Tendenz zu heterogener Zusammensetzung ab. So laufen unter den Transparenten von PEGIDA ein nicht identifizierbares Bevölkerungsamalgam zusammen, wie es noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Für ein gemeinsames Ziel organisieren sich Zweckbündnisse, die keine ideologische Absicherung mehr benötigen.

Selbst im parlamentarischen Alltag signalisiert die "Attraktivität" einer Großen Koalition, dass links/rechts kein geeigneter Dipol mehr scheint, der das Entscheiden leichter macht. Vielleicht liegt es daran, dass es nur blockierend wirkt, wenn man heute auf Basis von vorselektierten Entscheidungsmöglichkeiten vorab festgelegt wird. Die Realität ist für derart träge Kategorien zu wendig, die Sachverhalte zu komplex und undurchschaubar. So fühlen sich alle sehr wohl, wenn sie niemand mehr auf rechts/links festlegen kann. Und sollte es dennoch einmal geschehen wird dann - in Notwehr sozusagen - mit dem Allzweck-Argument der Alternativlosigkeit ein Abweichen vom Kurs verkauft.

Allerdings tut sich da die nächste Falle auf: Wer zu oft Alternativlosigkeit akklamiert, eliminiert jede Zukunft und enthebt die Politik ihrer Kernkompetenz: Dem Entscheiden. Außerdem weiß man doch zu keiner Zeit besteht wirklich Alternativlosigkeit; eher leiden wir in unseren Tagen an Optionsüberschuss. Eigentlich sollte nur das permanente Oszillieren der Akteure, wie Luhmann es nennt, in einer fluktuierenden Umwelt vor der verunsicherten Bevölkerung kaschiert werden.

Perfider Weise ist man gerade in unsicheren Zeiten auf handfeste Maximen aus. Oder umgekehrt, empfindet man Zeiten ohne Handlungsmaxime, als unsichere Zeit. Insofern hat Politik in der Demokratie vor allem in Zeiten der Unsicherheit mit ihrer Transparenz zu kämpfen. Je unberechenbarer die Zukunft sich gibt, ist Politik in ihrer Aufgabe Zukunft zu imaginieren ge- bzw. überfordert.
Die Schwachstelle der Demokratie ist es, das Abwägen von differierenden Meinungen nicht als "Lavieren zwischen Interessen" erscheinen zu lassen. Das sorgt für Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit und zur Krise der Demokratie. Das Zulassen von Kritik ist der Demokratie ein zuverlässiges Mittel gegen Erstarrung einerseits, gleichzeitig aber kommt es zu einer "schleichenden Entwertung politischer Kommunikation" . Daher behebt man Krisen noch immer am geschicktesten hinter verschlossenen Türen. Und liefert die Legitimation im Nachklang als Presseverlautbarungen.

So erlebt der Bürger, wie die Partei-Politik hinter gemeinsamen Zielen konvergiert. Die Politik verweigert die Polarisation und untergräbt das Parteiensystem somit aus eigenem Interesse. Entscheidungen lassen sich nicht mehr als schwarz/weiß identifizieren. Es entsteht der Eindruck der Beliebigkeit und der Wankelmütigkeit. Nur eines liegt noch im Interesse der Akteure, dass nichts falsch verstanden wird, soll heißen, dass man ihnen Versagen vorwerfen kann. Deshalb vermeidet man, wie der Teufel das Weihwasser, ungeeignet in die Schlagzeilen zu kommen.

Und genau an der Achillesferse der Politik parasitieren unsere Massenmedien von dem politisch-demokratischen Dilemma. Dass Lügenpresse zum Unwort des Jahres 2014 gewählt wurde, markiert sehr deutlich diese Sollbruchstelle der Systeme Politik und Massenmedien. Wenn auch diffamierend und unpräzise, ist instinktiv der Finger in die Wunde gelegt.

Beiden Systemen wird vom Bürger viel zugemutet: Fälschlicher Weise wird die Politik in den Rang eines Wohlstandgaranten gedrängt. Dabei verwaltet sie lediglich Zukunft. Die Massenmedien geben zwar unseren "Welthorizont" vor, aber sie sind kein Wahrheitsgarant. Massenmedien sind zu keiner Zeit objektiv, sondern das liegt in der Natur der Sache, prinzipiell selektiv, ansonsten könnten sie die Komplexität der Realität gar nicht greifbar machen.

Das Ineinandergreifen beider Systemoperationen verschärft permanent den Korridor des Sagbaren. Der Skandalisierungsmechanismus der Massenmedien wacht traditionell über die Grenzen des "Erlaubten". Der Zwang zum Skandal, der die Macher vor sich hertreibt und ihnen Sensationen abpresst, treibt das Spektrum des Sagbaren in die Enge: Die Skandale dürfen schließlich nicht ausgehen.

Die Konsequenz für den Bürger ist, man lamentiert über die Langeweile in der Politik, beschwert sich über die eigene Ohnmacht und verflucht die Lügner. In Zeiten da Protest und Zorn noch geholfen haben, wusste man wohin mit dem Unmut. Dass es mittlerweile anders ist, liegt einerseits daran, dass man die Orte verbalen Wütens deklassiert hat, und indem man die Akteure wohlwollend belächelt und mit ihnen vereinnahmend sympathisiert. Andererseits manifestiert sich im Wut-Handeln das Unwissen um die Bedeutung des eigenen Handelns, das obgleich es nicht mehr als links/rechts beschreibbar ist (was einige mit Gewalt versuchen rückgängig zu machen) mitnichten so belanglos ist, wie es daher kommt, weil die Unmittelbarkeit der Wirkungen abhandenkam.

Ganz anders beim Wüten. Die unmittelbare Wirkmächtigkeit von Gewalt erlöst vom Schmerz der Unterdrückung. Erleichterung herrscht wenn endlich das Ventil bricht, sei es bei gewaltbereiten Demonstrationen oder bei der Eskalation im Terrorismus. Der aufgestaute Druck der Affekte gründet im Einschnüren des Protestraums und der Verunglimpfung seiner Bedeutung. Protest will ernstgenommen werden und nicht weggelächelt. Zorn sucht Gegner und nicht Moderatoren. Da ist eine Medienlandschaft der Hysterisierung kontraproduktiv und eine Politikerriege, die sich vor Angst auf die Zunge beißt lähmend. "Man sollte die Dinge auch einmal beim Namen nennen", wie Papst Franziskus als Osterbotschaft verkündet. Doch das tun im besten Falle noch die Kabarettisten, doch die sind ja von Zunft wegen zum Weglächeln.

In dem Moment, da man merkt, dass Aufregen nichts hilft, steigt die Wut hoch und es öffnet sich die Spirale der Eskalation von Alles-sagen-können, weil-nicht-gehört-wird. Ein sicherer Weg die Gekränkten und die Unzufriedenen in die kriminellen Arme der Wuthandelnden zu treiben.

Dem Zorn sollte öffentlich Platz eingeräumt werden. Dafür muss die Politik die Wege der Kommunikation freihalten, will sie nicht nur Wut zu spüren bekommen. Eine Technik des Echauffierens und des Zürnens darf nicht verkommen und wegmoderiert werden, sondern muss offenstehen, denen die sich engagieren und einmischen wollen. Gerade in diesen Tagen, da man den Eindruck nicht los wird, dass die letzten großen Einmischer und Unruhestifter die Bühne für immer verlassen. Gerade sie, möchte man seufzen, denen es eine Bürgerpflicht gewesen ist, zu zürnen.

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