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Die Kolumne
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16.11.16 Hitler ruft!
16.10.16 Postfaktisch
16.09.16 Kick Ass
16.06.16 No Future
16.05.16 Rocken bis der Arzt kommt
16.04.16 Dank der Alternative
15.02.16 »Smart« das neue »Spießig«

 

Rocken bis der Arzt kommt
»I hope I die before I get old«

von Jürgen Mick

Was ist nun aus "My Generation" geworden? Erst sagt AC/DC Teile ihrer Amerika-Tournee ab, weil Brian Johnson die Taubheit droht. Dann sitzt Axel Rose bei seinem ersten Comeback-Konzert nach zwanzig Jahren als Frontmann von Guns´n´Roses mit geschientem Bein im Rollstuhl auf der Bühne, um schließlich trotz Invalidität auch noch bei AC/DC - wie auf den Rock-Thron getackert - die Europatour zu rocken. Was würde Bon Scott nur dazu sagen? Aber das nicht genug: Auch das schwedische Rock-Duo Roxette muss wegen schwerer Krankheit ihrer Sängerin Marie Fredriksson den Dienst quittieren. Wir hoffen das beste, aber die Europa-Tournee entfällt ersatzlos. Da ist man schon froh, dass wenigstens Eric Clapton letztes Jahr sein Geburtstagskonzert (zum Siebzigsten!) in der Royal Albert Hall heil überstand. Hat doch erst neulich der Prostata-Krebs Lemmy Kilmister drei Tage nach seinem Siebzigsten - 1-2-3-4 - von der Bühne gefegt. "We play Rock´n´Roll" - bis zum Abwinken. Das habe ich mir immer anders vorgestellt. Wer ahnte denn, dass es der Tod höchst persönlich sein müsste, der den greisen Berufspubertierenden den Weg von der Bühne weisen würde. Nein, das ist ungerecht, dahinter steckt eine tiefere Wahrheit.

Wem klingelt er nicht in den Ohren, der legendäre Vers aus dem The Who-Klassiker "My Generation": "I hope I die before I get old". Aber, das ist wirklich lange her. Und was man vor Jahren einmal gesagt hat, sollte man keinem auf die Goldwaage packen. Man war eben jung und Pete Townsend brauchte den Ruhm, da denkt man nicht ans Altwerden. Jung sein, das ist nicht nur eine Phrase, das ist eine ernsthafte Zustandsbeschreibung. Hingegen"alt" ist immer ein Telos; im besten Falle ein nie erreichtes, wie man denkt, wenn man jung ist. Jung ist man, alt ist man nie, alt wird man nur.

Nun Rentenkassen für Langzeitmusiker gibt es nicht - die GEMA einmal ausgenommen -, gesonderte Alten- und Pflegeheime auch nicht. Was will man machen, wenn man nicht anderes kann, als auf ein Podest zu steigen und darauf herum zu röhren und zu lärmen? Wenn man nicht anderes gelernt hat, als Musik zu machen, weil man von nichts anderem geträumt hat, als mit Musik seine Zeitgenossen zu belästigen? Wenn man es dereinst erfolgreich betrieben hat, wie beispielsweise die oben genannten, kann man sich zumindest gewiss sein, dass sich ein paar Leute an einen erinnern, wie man dereinst das Hohe Lied der Unangepasstheit in die Gesichter der spießigen Restbürger schrie. Ja, ihr Nörgler - nicht alles, was da prophezeit wurde ist eingetreten, richtig! Aber, man weiß doch, man muss Predigten nicht wörtlich nehmen, um sie reinen Herzens weiterzutragen.

Aber nun kann es auch nicht wirklich von Gewinn sein, wenn wir ansehen müssen, wenn ein Genie wie Prince Rogers Nelson mit erst 57 Jahren seinen letzten Aufzug nimmt. Ist das noch jung oder schon alt? Und zahlreiche seiner Vorfahren im Geiste sind zweifellos viel zu früh in den Rockolymp aufgestiegen. Wie gerne hätte man den "Club 27" - wäre es denn möglich - spätestens mit Eintritt von Curt Cobain und Amy Winehouse wegen Überfüllung geschlossen. Nein, frühes Ableben sollte unter keinen Umständen zur Pflichtübung für Elektrogitarristen, Rock´n´Roll-Trommler und Bluesröhren verklärt werden. Alter ist doch relativ. Ist es nicht an der Zeit endlich zu fragen, ab wann ist man eigentlich alt? Also Udo Lindenberg will noch zwanzig bis dreißig Jahre weitermachen, bis ihm der letzte Komplize wegstirbt.

Die Musik lässt einen nicht los, "bis dass der Tod uns scheidet". Vielleicht wäre das die bessere Zeile für den The Who-Klassiker gewesen, aber die hätte halt nicht so eingeschlagen, schon klar. Aber vielleicht war sie in etwa so gemeint, weil man eben nicht sagen kann, war Bowie als er im Alter von 69 verstarb, alt? Vielleicht würden viele sagen: "Too young to die, too old to rock´n´roll."

Ja, man muss ehrlich fragen, was macht jung sein denn aus? Das Toben und Lieben, das Rasen und Weinen für ein ideales Leben. Es ist die Sehnsucht, nach einer bessere Zukunft, von der die Musik getragen wird. Und was braucht man im Alter mehr, als ein Stückchen Zukunft - just in dem Augenblick, da sie beinahe restlos aufgebraucht ist?

Das Musizieren selbst bewahrt die Jugend. Und so gilt - wie für alle Musiker - auch im Rock ´n´ Roll: Würde man der Musik untreu, dann erst wäre man tatsächlich alt. Das wollen die meisten Altrocker vermeiden. Das wäre für die meisten der Genannten und für noch viel mehr unbekannte Musiker nicht erträglich. Daher muss man insistieren, solange wir musizieren, sind wir jung! Das Musikmachen ist der Bann, der davor bewahrt, "old" zu sein. "As long as I rock, I´ll never get old!" Soll heißen, solange ich musiziere, werde ich nicht alt sterben! So war das gemeint, mit "My Generation". Da können wir ruhigen Gewissens - in ganz neuem Verständnis - unsere Schwüre von einst erneuern: "Wir rocken bis der Arzt kommt!"

Was macht eigentlich Roger Daltrey und seine Radau-Combo?!

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