Lob
des Dilettanten
von
Jürgen Mick
Unsere
Liebe zu den Dingen verdient es, ausgelebt zu werden. In ihr liegt Potential,
das genutzt werden sollte, sowohl aus Sicht des Einzelnen, als auch
aus Sicht der Vielen. Wenn Liebe nicht verkümmert, sondern auf
fruchtbaren Boden fällt, wird der Einzelne Befriedigung erfahren
und die Vielen einen Nutzen. Wer Dinge um ihrer selbst Willen tut, macht
sie bestmöglich, sonst täte er sie nicht. So entgeht nur der
Dilettant der Korrumpierbarkeit.
Der Dilettant ist für Geschäftemacher uninteressant. Und deshalb
auch manchmal als der einzig wahre Künstler tituliert. Er ist in
seiner Sache ein Kind geblieben. Im Dilettantismus trifft sich der Künstler
mit dem Kind, wie es noch zu wahrer Freude in der Lage ist. Paul
Valery schrieb eine Abhandlung über den Maler Edgar Degas. Darin
zitiert er diesen mit den Worten: "Man muss eine hohe Meinung
haben, nicht sowohl von dem, was man im Augenblick macht, als vielmehr
von dem, was man eines Tages wird machen können; ohne das lohnt
es sich nicht zu arbeiten." So sprach Degas angeblich im Alter
von siebzig Jahren und Valery kommentiert: "Mit siebzig Jahren
... So spricht der echte Stolz, Gegengift jeder Eitelkeit. ... so auch
der Künstler, der wesentlich Künstler ist. Ein Mensch, der
nicht ständig von einer derart heftig ihn erfüllenden Gegenwart
sich belagert fühlt, ist ein Mensch ohne Bestimmung: ein brachliegendes
Erdreich."(1) Worin, wenn nicht in der dauerhaften Potentialität
des Möglichwerdens, liegt die Bewahrung des Kindseins? Darum liegt
das Elend der Modernen darin, dass man von ihnen verlangt, erwachsen
zu werden. Die eigentliche Zukunft ist die, die auf eine Gegenwart zurückfällt
und sich nur in dieser entfaltet.
Eben in der Freude an der Arbeit, die sich selbst noch nicht genug ist.
Das Künstlerische am Dilettieren, das vom Wortstamm her (lat: delectare)
das "sich erfreuen" in sich trägt, liegt in der Freude
auf das, auf das man hinarbeitet. Das Herausarbeiten aus dem Unbekannten
ist immer dilettantisch, weil es risikobereit erforschend vorgeht. Weil
es stillschweigend ein Wagnis eingeht, wenn es in Unbekanntes vordringt,
muss es notwendig unprofessionell sich darstellen. Es kann niemals professionell
sein, wenn es nicht tausendfach erprobt sein kann, und die Aussicht
auf Profit äußerst vage ist. Es hätte das Künstlerische
verloren, wenn es nicht mehr den Zweck entehrte. So kann es von Natur
aus, nur dem Kind ergehen. Erst die Bewahrung des "Kindseins"
in Form einer Operationsweise, wird sich künstlerisch gebärden
und muss dilettantisch sein.
Bei Lichte betrachtet, ist es nur ein geringer Teil der Menschheit,
die in der Lage sind in den Systemen der Gesellschaft sich ihre Befriedigung
im Tun zu verschaffen. Wenn den meisten versagt sein soll, ihre Hingabe
in die Gesellschaft einzuspeisen, warum dann nicht dem Dilettantismus
frönen? Unsere Leidenschaften zu opfern, sie einfach nur verplempern,
das kommt nicht in Frage. Es könnte ein immenser Nutzen entstehen,
wenn sich die "Avantgarde der Nutzlosigkeit"(2) - als
da wären die Angehörigen therapeutischer Berufe, Anbieter
von Entspannungstechniken und neuen Religionen, sowie Künstler
jeder Couleur -, in das Heer der Dilettanten wandelte. Beziehungsweise
ihre Adepten weniger darauf abzielten ihre Ziele in kommerzielle Gewinne
zu münzen. Das hieße die Professionalisierung des Prokrastinierens
aufgeben und sie der "gesellschaftlichen Realität" zu
entziehen und im Gegenzug gleichzeitig Glaubwürdigkeit im Tun wiederzuerlangen;
indem man sie einfach praktiziert, ohne sie auszuschlachten. Was kann
eine Sache glaubwürdiger machen, als ihre Non-profit-Ausübung?
Der Schritt in die Professionalisierung ist der Sündenfall der
Moderne. Der Kapitalismus parasitiert an der Sorge um das Selbst. So
kommt es dem Verrat an der Revolution gleich, die hindrängt zu
einem Leben, das in der Moderne immer "letzten Lockerungen"(2)
zustrebt. Dabei hat Professionalisierung mit der Schwierigkeit der Vermittlung
ersten Ranges zu kämpfen. "Entrückung" ist eigentlich
spiritistischen-religiösen Praktiken vorbehalten. Den Moment der
"Entrückung", also die völlige Loslösung von
der eigenen Person, von der einen "Seite" auf die andere zu
importieren, bleibt unvermeidlich mit dem Verlust und Auslöschung
des gewünschten Zustands verbunden. Eine derartige Vermittlung
hieße eine Innerlichkeit äußerlich übertragen
zu wollen. Es ist die Krux einer jeden Entspannungslehre. So mancher
Mönch wüsste zu berichten von ihrer Beschaffenheit als Vexierbild,
welches spontan umkippt, just in dem Moment, da man darüber beginnt
zu kommunizieren. Der Entspannung ergeht es wie einem Traum, der sich
selbst zerstört, sobald man versucht ihn niederzuschreiben. Ein
Pater Anselm kann darüber nichts wissen, sonst würde er davon
schweigen. Und uns würde etliche Ratgeberliteratur erspart bleiben,
würde dieses Paradox geachtet.
Der Dilettant sieht es nicht für nötig, sich um Optionen zu
scheren. Vorgegebene Optionen schränken grundsätzlich jede
Auswahlmöglichkeit ein. Ein nahezu "freier" Entscheider
kann verständlicher Weise andere Resultate erzielen. Sein Horizont
ist nicht kategorisiert, da nicht vorselektiert, wie zum Beispiel durch
Sitte und Konvention, Institutionen und Berufsethos und durch Ehrenkodizes
und Schamgrenzen. Wir kennen die Beispiele zu Hauf, aus den Geschichten,
bei denen gerade die größten Geister sich wenig um Konvention
kümmerten, ob sie nun Leichen sezierten, Obszönitäten
beschrieben oder unmoralische Geständnisse ablegten. Sie vertreten
die Liga der Welt-Dilettanten, die wenig Wert auf Menüauswahl legen,
sondern bevorzugen, bedingungslos aus dem "Unbenannten" zu
schöpfen.
Das will nicht immer gut ankommen. Wenn der Dilettant Dienste übernimmt,
die eigentlich die Gesellschaftssysteme (professionalisiert) vorhalten,
verstößt er nach Niklas Luhmann gegen das sogenannte "Selbstbefriedigungsverbot"
dem Funktionssysteme sich unterworfen sehen. In Konsequenz daraus erfolgt
"Ächtung" durch die Gesellschaft, die sich in ostentativ
praktizierter Ignoranz ausdrückt. Einmal in diesem Sinne "strafbar"
gemacht, wird man nicht umhin kommen, sanktioniert und stigmatisiert
damit zu leben. Signifikanter Weise kann dieser Status der Verachtung
erst aufgehoben werden, durch einen Aufruf aus den Reihen der Leistungsrollen,
in die Profession zu konvertieren. Die Ernennung erfolgt wie der Schlag
zum Ritter und ist kaum wieder reversibel. Mit dem Schritt in die Profession,
kann in die Gesellschaftrolle gewechselt werden. Ab dann hat man nach
den Regeln des Systems zu spielen.
Die Schwelle zwischen Dilettantismus und Profession ist eben deshalb
keine fließende. Sondern, sie ist immer eine rigorose: Man wird
heute nicht Zug um Zug berühmt, man wird es über Nacht, oder
gar nicht! Es kommt der Überwindung einer Klippe gleich, die zwangsweise
eine Verhaltensänderung nachsichzieht und keinen versteckten Dilettanten
in seiner Rolle verträgt. Wer nicht versteht seine Liebhaber(ei)
zurückzulassen, dem ist keine Zukunft beschert. Vor diesem Hintergrund
wird die Sorge um die Authentizität, als uneinlösbares Dauermotiv
der Vermarktung, verständlich. Vom Profi ist keine Leidenschaft
einzuklagen, und er selbst darf keinesfalls mit Hingabe argumentieren.
Der Dilettant verweigert die Leistungsrolle ebenso, wie die Publikumsrolle.
Er taucht in der Gesellschaft nicht auf einer der generalisierten
Seiten auf. Die Funktionssysteme kümmern sich nicht darum und er
nicht um die vorgehaltenen, vermeintlich abschließenden Vokabeln.
Der Dilettant ist derjenige, der sich dem Sündenfall der Professionalisierung
ohne Resignation verweigert und keineswegs beabsichtigt zu schweigen.
Er weiß seine Freiheit vom Fraktionszwang zu nutzen, um sich einzumischen.
Er ist derjenige, der sich im unpassenden Augenblick zu Wort meldet
und ungefragt ohne Entgelt mitgestaltet. Ehrenamtsinhaber und Freiwilligendienstleister,
Nachbarschaftshelfer und informelle Dienstleister, "Klein"-Künstler
und Alleinunterhalter. Das Heer der Dilettanten ist riesig und nahezu
unsichtbar; es streitet im Verborgenen für häre Dinge. Alle
darin sind auf ihre Hingabe zurückgeworfen und leben von der Freude
an ihrem Tun.
03.06.15