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ZU INDIVIDUUM, LEBEN UND GESELLSCHAFT

 
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EXIT oder Leben und Sterben ...
"Mensch, wie alt bist Du?"

 

„Mensch, wie alt bist Du?“
Ein Kurzinterview
von Jürgen Mick

Wir wollten eigentlich immer nur eines: menschlich sein. Wir sind die dritte Generation. Wir nennen uns immer noch Menschen und wir glauben an Gott. Und vor allem an den Gott in uns. Insgeheim waren wir immer bemüht, Gott ähnlich zu werden, doch würden wir uns dieses Streben nie eingestehen. So haben wir uns beschränkt auf das Menschsein.

Seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?

Es liegt in unserer Natur niemals zufrieden zu sein. Wir genießen es lediglich uns selbst zu belügen, eine Fähigkeit, die man durchaus als typisch menschlich bezeichnen könnte. Wir streben immer noch nach mehr Ähnlichkeit mit Gott. Ihr müsst wissen, uns treibt ein unbändiger Wille zur Selbstbestimmung.

Warum strebt ihr nicht einfach nach mehr Menschlichkeit, statt nach mehr Göttlichkeit?

Ich denke, das ganze Dilemma ist darin begründet, dass wir uns seit einiger Zeit nicht mehr einig sind, was es heißt, Mensch zu sein. Wir nennen uns aus Unentschlossenheit noch heute Menschen, wobei ich denke, der Begriff hat seine Unschuld verloren. Wir benutzen ihn aus Sentimentalität. Und in Ermangelung eines besseren Begriffs. Der Begriff Übermensch geriet durch Missbrauch in Misskredit. Klingt außerdem arrogant. Wäre aber vielleicht am ehesten geeignet. Das Menschsein, zu Zeiten, als wir einfach Mensch waren, ohne es bewusst sein zu wollen, ist längst Vergangenheit.

Was ward ihr bevor ihr noch einfach Menschen ward?

Dem Menschsein ging die Epoche der Affen voraus. Aber als wir beschlossen haben Menschen zu sein, waren wir bereits lange Zeit Menschen. Doch damals wie heute waren wir nicht zufrieden mit unserem Dasein. Wir nennen es Problembewusstsein: Zuviel Ungeziefer und Krankheit. Zu anstrengende Arbeiten. Zu viel Armut. Zu viel Leid.

Das nennst Du Menschsein?

Nein, entscheidend ist, wir waren vernünftig gewordene Affen und wir waren die einzigen, die Vernunft besaßen. Wir hatten gelernt in den Spiegel zu schauen, ohne zu fragen, ob da jemand dahinter steht, der sich so bewegt wie wir. Und da muss es passiert sein: Gleichzeitig haben wir aber auch gelernt unzufrieden zu sein.

Erinnert ihr Euch einer Zeit der Zufriedenheit?

Es gab so eine Zeit vermutlich als wir Affen waren. Affen hängen, wie man noch heute beobachten kann, zufrieden in den Ästen der Bäume und lassen sich die Sonne auf das Fell scheinen. Vermutlich sind sie zufrieden. Denn sie wissen nicht, wie angenehm das Leben sein könnte. Und das Leben kann sehr angenehm sein.

Ihr wurdet Menschen, als ihr begonnen habt nach angenehmeren Seiten des Lebens zu suchen?

Wir wollten uns nicht abfinden mit dem täglichen Leid und den tödlichen Krankheiten. Wer haben erkannt, dass wir sterben müssen. Das versuchen wir seitdem hinauszuzögern solange es möglich ist. Und wir wollen um so weniger sterben, je angenehmer das Leben wird. Wir haben die Möglichkeiten entdeckt, das ist alles! Wir haben erkannt, dass es bessere Chancen verheißt zu überleben, wenn man nicht nur mit einer jeweiligen Situation zurechtkommt, sondern mit jeder möglichen Situation. Wir haben Werkzeuge mitgeführt, um gerüstet zu sein, für jede Lebenslage. Die Dinge wurden uns wichtige Begleiter. Seit dem gelang es uns immer die beste aller möglichen Welten zu wählen. Dazu war es aber notwendig zu erkennen welche Welten möglich sind. Wir hatten begriffen, dass wir in einer Welt leben, aber viele Welten vor uns liegen, die wir wählen können. Die Optimisten unter uns nennen dies Zukunft.

Seither seid ihr auf der Suche nach immer besseren Welten. Aber wie konntet ihr euch sicher sein, immer alle möglichen Welten erkannt zu haben und dann noch die beste gewählt zu haben?

Ja, das war nicht immer einfach, denn das schlimme ist, dass wir uns niemals einig sind. Die einen meinen es wäre besser jeglichem Fortschritt abzuschwören und wieder zurück in die Höhlen zu gehen, die anderen behaupten Fortschritt ist der eigentliche Sinn unseres Lebens. Ja, die einen sind wagemutig und die anderen feige. Wir waren immer sehr uneinig, sehr verschieden. Natürlich haben wir Fehler gemacht und wir haben daraus gelernt. Wir haben allerdings nie aufgehört, unsere Umgebung angenehmer zu gestalten. Irgendwie war die Mehrzahl der Menschen immer unzufrieden. So gab es immer viele, die der Meinung waren, die jeweilige Situation ließe sich verbessern.

Wie war es möglich dass euch die anderen Geschöpfe dieser Erde freie Verfügung gewährten. Erhob nie jemand Einspruch, wenn ihr maßlos wurdet?

Sicherlich wurden uns sehr oft Hindernisse in den Weg gelegt. Die Tiere haben rebelliert, das Meer hat rebelliert, der Wald hat sich aufgelehnt, ja oftmals haben sich die Menschen deren Sorgen auch zum Anliegen gemacht, und haben sich gegenseitig bekämpft. Wir waren häufig bedroht von unserer Umwelt und nicht selten von unserer eigenen Existenz. Die Ressourcen wurden des öfteren knapp und der Zugang dazu war uns schier unmöglich. Doch die Evolution hat uns mit einem entscheidenden Vorteil ausgestattet. Unser Organismus trägt ein überproportioniertes Gehirn. Wir sind dadurch anpassungsfähiger, als jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten. Unsere Entwicklung findet im Rhythmus der Generationen statt, während Mutationen und Selektion lediglich in kleinem Umfang und in langen Zeiträumen möglich sind. Unser Gehirn war nicht nur ein neuer Weg der Evolution – es war geradezu eine Abkürzung. Veränderungen werden schnell erfasst und führen innerhalb einer Generation zu veränderten Verhaltensmustern. Zum zweiten haben wir es geschafft Wissen außerhalb unseres Organismus zu überliefern. Wir haben Mittel und Wege gefunden unser Wissen über lange Zeit zu konservieren und durch Schrift und Bild unabhängig von unserem Körper über weite Distanzen, sowohl zeitlich wie räumlich, weiter zu übertragen. Unsere Wissensspeicher sind von uns unabhängig. Und drittens haben wir gelernt zu kooperieren. Auf Grund der Fähigkeit, zu wissen was der je andere denkt, haben wir gelernt gemeinsam zu handeln. Wir haben uns selbst organisiert. Wir haben Städte und Staaten gegründet und haben letztlich jedem Menschen die Erdenbürgerschaft verliehen. Ja, wir waren maßlos - sehr oft - aber wer hätte uns hindern können? Ein bekannter Vertreter (Kenneth M. Sayre) unserer Art hat einmal bemerkt: „Menschen sind unschlagbar, wenn es um die Aneignung von Information geht, und auch im Hinblick auf die Vielseitigkeit ihrer Informationsverarbeitung ... Da die Überlegenheit bei der Anhäufung und Verarbeitung von Information auf eine adaptive Überlegenheit hinausläuft, spricht dies für die menschliche Dominanz über andere Arten.“ Wie gesagt die Evolution hat es gut mit uns gemeint. Und sie hat uns ein Geschenk gemacht, indem sie uns dies erkennen ließ.

Läge es bei soviel Zuwendung nicht nahe einen Gott hinter all dem zu vermuten?

Den haben wir bei soviel Vernunft schlicht und einfach vergessen. Als wir uns unsere Fähigkeiten in vollem Maße bewusst wurden, begannen wir systematisch am Aufbau unseres Wissens zu arbeiten. Wir konnten an Gott nicht mehr festhalten. Beim besten Willen nicht. Wir mussten zugeben, dass Gott nur eine Idee war. Ein Mythos, der uns lange Zeit seht hilfreich war, um uns Handlungsmuster vorzugeben. Doch die Propheten haben wir ad acta gelegt. Wir glaubten uns in der Lage alles, wenn wir nur lange genug forschen könnten, wirklich alles, zu erklären auch unsere Zukunft. Wir glaubten fest daran, die Welt sei eine Maschine. Die Welt war zum Automat geworden, den wir nach belieben umbauen und vorherberechnen konnten.

Aber nur ein göttliches Wesen hätte es doch fertig bringen können so etwas vollkommenes, wie euch Menschen, zu schaffen. Ohne den Uhrmacher keine Uhr. Alles nur Mathematik und Physik?

Zu Beginn waren alle Beteiligten damit beschäftigt zu beweisen, dass es Gott gibt. Aber keiner der Beweise hielt stand, bis endlich einer verkündete Gott ist tot. Metaphysik hat nichts an Bord der Wissenschaften verloren. Wenn wir etwas nicht erklären können, dann ist es nur eine Frage der Zeit. Alles nur Mathematik und Wahrscheinlichkeit! Aber ihr sprecht in der Vergangenheit. Ist der Glaube an die Allmacht der Wissenschaft gebrochen? Nein, nein, keineswegs, der Glaube an die universelle Erklärbarkeit ist nicht gebrochen, er ist gleichsam übertroffen worden. Wir sind in der Lage selbst Uhrmacher zu sein. Wir können nicht nur beschreiben, und berechnen, wir können nun auch gestalten, die Regeln ändern, ein neues Spiel beginnen. Wir sind dem heimlichen Wunschtraum, Schöpfer zu sein, in greifbare Nähe gerückt.

Ihr seid verwirrt. Ihr nennt Euch Schöpfer! Wolltet ihr nicht nur Mensch sein?

Es hätte gereicht sich zum Ziel zu stecken Mensch zu sein. Aber der Traum war insgeheim immer ein anderer. Und es war vielleicht nicht von Schaden das Ziel so hoch zu stecken. So gelang es wenigstens, sich als Mensch zu erschaffen. Lässt man die göttlichen Anspielungen einmal beiseite, dann muss man zugeben, hat ja auch der Mensch an sich schöpferische Qualitäten. Der Mensch ist, wie gesagt, schon lange Mensch, aber er war nicht immer gleich menschlich. Nachdem wir uns selbst entdeckt haben, und uns als Menschen empfanden, schätzten wir diesen Zustand als höchstes Gut, sodass wir diesen Moment festhalten wollten. Wir postulierten die Menschenrechte. Mit dem Zeitpunkt, da wir das Menschsein bewusst anstrebten, haben wir es auch nie wieder erreicht Menschen zu sein, wie wir es vorher einmal waren. Wir haben unsere Unschuld verloren. Wir sind ständig dabei uns neu zu erfinden. Das ist nichts verwerfliches. Wir machen uns seitdem immer wieder zum Menschen. Eine schöpferische Tätigkeit, nicht wahr?

Ihr seid Eure eigene Erfindung und auch Gott war Eure Erfindung? Aber Gott ist tot, wie ihr sagtet, seid ihr sicher, dass auch der Mensch nicht bereits tot ist?

Darüber lohnt es nachzudenken. So hat auch unsere letzte Erfindung, das Individuum, inzwischen ausgedient. Wir mussten erkennen: Ich sind viele. Natürlich, auch in den Bereichen der Ethik und der Moral haben wir Fortschritte zu verzeichnen. Der Erfolg spricht für sich. Das zwischenmenschliche Zusammenleben war niemals so friedlich wie heute. Niemals lebten so viele Menschen in Wohlstand und auf so hohem sozialen und materiellem Niveau. Das ist mitunter das Verdienst des „neuen“ Menschen, der das Individuum hinter sich gelassen hat. Wir haben die Demokratie übereinstimmend auf dem ganzen Globus eingeführt, globale Institutionen nach demokratischen Gesetzen gegründet und leben gleichberechtigt in Harmonie, wie sie dieser Planet noch nie gesehen hat und wir streben selbstverständlich nach noch mehr Harmonie.

Wie ist das denkbar? Wie kann man sich die Steigerung von Harmonie vorstellen?

Bei aller Harmonie muss man erkennen, dass sich natürlich unterschiedliche Lebensweisen herausbilden - wir sind nun mal sehr verschieden -, die auch durchaus erwünscht sind. Dies beinhaltet bis heute leider noch eine geringfügige Schwankung bezüglich Wohlstand und Gesundheit. Na ja, Leid und Armut, sind partiell eben nicht zu leugnen. Unsere Fähigkeiten der Manipulation unserer Umwelt hat jedoch neue Dimensionen erreicht. Mit diesen Mitteln werden wir das Leid und das bisher unvermeidliche Elend von diesem Planeten verbannen, ebenso wie wir die Pest eliminiert haben. Der Gestaltung unserer Umwelt ist heute kaum eine Grenze gesetzt und unser Bedürfnis kreativ unsere Lebensbedingungen zu beeinflussen oder zu bestimmen ist noch nicht erloschen.

Und über die Pläne herrscht allseits Einigkeit? Es gibt keine fundamentalistischen Gruppierungen? Keine Einsprüche?

Ihr sprecht einen wunden Punkt an. Das ist der Punkt der verschiedenen Wahrheiten. Daran wurde und wird vehement gearbeitet. Bisher vergeblich. Wir sind zwar eine Weltgemeinschaft, aber doch bestehend aus einer Myriade von Einzelgehirnen. Bisher ist es nicht gelungen all unser Bewusstsein zu korrelieren, d.h. die Gehirne aller Erdenbürger zu verschalten. Viele behaupten, jeder Menschen hätte offensichtlich ein anderes Verständnis der Wahrheit, und das lässt sich nicht ändern. Andere sagen noch immer, wir müssen es schaffen, dass alle an einem Strang ziehen und sich all in der einen Wahrheit vereinen. Was noch zu wenige erkannt haben ist: es gibt keine Wahrheit. Es gibt nur Möglichkeiten. Wir streben nicht nach kosmologischen Zusammenhängen, wir genießen den kreativen Prozess der Evolution. Wie ich sagte, der Mensch hat erkannt, dass es die Möglichkeit gibt und heute wissen wir, dass es nur Möglichkeiten gibt. Leider glauben viele noch an die Wahrheit. Das ist ein Problem.

 

 

 
 
 
 
 

 

 
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